Gerechtigkeit - wasn das?

■ Am Ende zahlen immer dieselben / Alles versteuern müssen nur die Arbeitnehmer

Lohn– und Einkommenssteuern bilden das Herzstück des derzeitigen Steuersystems, sie machten 1985 zusammen 53,3 Prozent des Steueraufkommens aus. Haupttreibsatz für diese Entwicklung ist die Lohnsteuer, deren Anteil sich von 1960 bis heute mehr als verdoppelt hat, während der Anteil der veranlagten Einkommenssteuer stagniert oder rückläufig ist. Das Verhältnis von direkter zu indirekter Besteuerung insgesamt, das 1960 etwa 40 zu 60 war, ist heute in etwa ausgeglichen. Eine solche starke Stellung der direkten Steuern ist grundsätzlich positiv zu bewerten, da ein hoher Anteil der direkten Besteuerung die Voraussetzung für eine wirkungsvolle Verteilungspolitik darstellt. Es gibt kein westliches Industrieland, das sich der direkten und progessiven Besteuerung des persönlichen Einkommens enthält. Die Verbreitung einer progressiven Besteuerung belegt eine gemeinsame Einsicht, daß die originäre Einkommensverteilung, die aus den unternehmerischen Produktionsentscheidungen und den Marktprozessen auf der Grundlage der gegebenen Vermögensverteilung hervorgeht, der Korrektur bedarf. Für Anfänger in der Steuerkunde, die die Frage nach der Ge rechtigkeit von Steuersystemen noch unbefangen bewegt, hat der Fachmensch gleich wieder komplizierte Unterscheidungen parat: Horizontale Steuergerechtigkeit ist dann erreicht, wenn für die hierzulande sieben Einkunftsarten - etwa Einkünfte aus einem Gewerbebetrieb, aus freiberuflicher Tätigkeit oder einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis - keine je besonderen Präferenzen gelten, sondern strikte Gleichbehandlung angesagt ist. Davon kann bei uns keine Rede sein. Vertikale Steuergerechtigkeit sieht das Lehrbuch da, wo die Tarifstruktur zwar progressiv ist, der Anstieg der Steuersätze aber linear verläuft. Da die Stoltenbergsche Kurve eine Gerade ist, könnten wir hier hoffen. Aber das ist ja nur der Tarif, die Meßlatte für die Steuern, die über die tatsächliche Besteuerung noch keine Aussage zuläßt. Entscheidend ist, was die Einzelmaßnahmen der Reform effektiv daraus machen. Bei kombinierter Anwendung der Kriterien von horizontaler und vertikaler Steuergerechtigkeit zeigt die Reform ihre massive Arbeitnehmer–Benachteiligung. Diese müssen fast bis auf den letzten Pfennig alles versteuern, während andere Gruppen immer noch Tausenderlei umbuchen und abziehen können. geo