I N T E R V I E W „Außenkontakte nur noch mit Kondom“

■ Melitta Walter, ehemals Bundesvorsitzende von Pro Familia, fragte 224 Frauen nach ihrem Umgang mit Sexualität in festen und in flüchtigen Beziehungen

taz: Der Kongreß sollte zeigen, daß auch die sogenannten treuen Frauen, die in Ehen oder festen Beziehungen leben, zu den Risikogruppen gehören. Warum war das so lange kein Thema? Melitta Walter: Es gibt diese klassische Rollenverteilung und Doppelmoral: Der Mann braucht die ordentliche, treue Ehefrau als Absicherung für sich selbst. Was er außerhalb macht, ist etwas völlig anderes. Aber Sexualität in der Ehe ist häufig eine phantasielose Gebrauchssexualität geworden - von beiden Seiten. Darüber wird nicht gesprochen, und jede/r sucht heimlich nach anderen Möglichkeiten. Gerade wenn es um Gebrauchssexualität geht, stehen Ehefrauen somit nicht besser da als die (registrierten) Prostituierten, wenn die Freier sich weigern, Kondome zu benutzen. Anders ist das natürlich bei der Beschaffungs–Prostitution von Fixerinnen. Da ist die Infektionsrate sehr hoch. Du hast in einer Fragebogenaktion 224 Frauen nach ihrer Alltags– und Abenteuersexualität gefragt. Wie reagieren sie auf AIDS? Die sogenannten normalen Ehefrauen haben Angst, daß ihre Männer in den letzten Jahren andere sexuelle Kontakte hatten. Aber sie trauen sich nicht es anzusprechen, weil sie Angst haben, den Partner zu verletzen. Das ist ja ein typisch weibliches Problem. Für die Gruppe der alleinstehenden und geschiedenen Frauen, die nach langen Ehen sagen, so, jetzt mache ich, was ich will, ist AIDS in anderer Weise eine enorme Belastung. Was kannst Du Frauen ganz konkret empfehlen? Für feste Beziehungen und Ehepaare ist es sicher Zeit, sich hinzusetzen, und zu fragen: Was lief bei Dir in den letzten Jahren, was bei mir? Waren das sehr anonyme Kontakte? Und dann eine Absprache treffen, die dem Leben am ehesten entspricht: Sexuelle Außenkontakte nur noch mit Kondom. Wir können natürlich jetzt jammern und sagen, ach, diese blöden Gummis. Ich selbst bin mit Kondomen gut gefahren. Wenn Frauen sich darauf einlassen könnten zu sagen, mit Männern, deren Geschichte wir nicht kennen, verkehren wir nur noch mit Kondomen, wäre viel gewonnen. Ist das nicht ein bißchen übertrieben? Für mich ist das ein ganz nüchterner Selbstschutz. Ich lebe in einer festen Beziehung, und wir benutzen da keine Kondome. Aber wir haben unsere sexuellen Außenkontakte besprochen. Wir haben geprüft, wie wir fühlen, und haben die Regel aufgestellt: außerhalb nur noch mit Kondomen. Falsch ist sicherlich eine übertriebene Panikmache, etwa wenn es heißt, auch Kondome seien kein hundertprozentiger Schutz. Wir leben so risikoreich, und ich kann schon morgen von einem Auto überfahren werden. Aber viele Beziehungen können jetzt kaputtgehen, wenn der Mann ablehnend reagiert und die Frau sich zurückzieht. Ich denke, da hat die Beziehung schon vorher nicht funktioniert. Das wird durch AIDS nur sichtbar. Gab es auf dem Kongreß nicht auch Anflüge von Hysterie? Ich freue mich, daß es nicht nur um Befindlichkeiten ging, sondern wirklich um eine Analyse. Allerdings hat die Suche der Frauen in den Möglichkeiten von Tests viel mit irrationalen Ängsten zu tun. Du gehst davon aus, daß Frauen das Thema Kondome eher ansprechen als Männer? Grundsätzlich ja. Das paßt zu den Frauen. Alle Untersuchungen zeigen, daß das Risikoverhalten von Frauen immer viel sozialer ausgerichtet ist. Allerdings fühlen sich viele Frauen jetzt alleingelassen. Sollen sie z.B. die Pille weiter nehmen? Die Spirale ist wegen der möglichen Dauerinfektion in Zeiten von AIDS ohnehin das denkbar ungünstigste Verhütungsmittel. Es ist fahrlässig, wenn in der von Ministerin Süssmuth herausgegebenen Aufklärungsbroschüre behauptet wird, die Spirale sei ungefährlich. Interview: Ursel Sieber