Massenrevolte im Reiche Ceausescus

■ 20.000 Menschen stürmten das Rathaus der zweitgrößten Stadt Rumäniens Bei der Rebellion in Brasov wurden zwei Uniformierte von der Menge getötet

Wien/Bukarest (afp/ap/dpa/ taz) - In Brasov, der zweitgrößten Stadt Rumäniens, ist es vor einer Woche zu einem Volksaufstand gekommen. Wie erst jetzt im Westen bekannt wurde, plünderten mindestens 20.000 Menschen das Rathaus der Stadt und setzten es in Brand. Auch der Sitz der Kommunistischen Partei in der Stadt, die den deutschen Namen Kronstadt trug, wurde verwüstet. Ein Augenzeuge berichtete der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera, einem Milizionär sei mit einem abgebrochenen Flaschenhals die Kehle durchgeschnitten worden. Ein weiterer Polizist soll im Innern des Rathauses erschlagen worden sein. Noch ist unklar, was die Unruhen in der 334.000 Einwohner zählenden Stadt Siebenbürgens ausgelöst hat. Daß sie aber dieses Ausmaß und diese Gewalttätigkeit angenommen haben, hängt sicher mit der miserablen Versorgungslage und der politischen Unterdrückung in Rumänien zusammen. In keinem Staat des Warschauer Pakts werden die Bürger so systematisch bespitzelt und eingeschüchtert,und gibt es so wenig Freiheit wie in Rumänien. Möglicherweise ist der Aufstand ausgebrochen, weil die Arbeiter von drei Fabriken, der „Idromecanica“, der „Tractorul“ und der „Steagul Ruse“, die Nacht zum vorletzten Sonntag an ihren Arbeitsplätzen verbringen mußten, damit sie am Morgen in Bussen, anläßlich von Kommunalwahlen, zu den Urnen gekarrt werden konnten. Erklärungen westlicher Reisender zufolge, die am Wochenende der Agentur afp berichteten, sollen die Unruhen ausgebrochen sein, als Arbeiter einer LKW–Fabrik sich gegen eine Lohnkürzung wegen Nichterfüllung der monatlichen Planvorgaben wehrten. Brasov, die zweitgrößte Stadt und eines der wichtigsten Industriezentren Rumäniens, wird nach den Augenzeugenberichten von der Armee, die zur Verstärkung der örtlichen Polizei einrückte, „geradezu belagert“. „Und das sollen freie Wahlen sein? Es ist doch, als ob wir in einem Konzentrationslager säßen“, hätten die Arbeiter gemurrt, so berichtet der vom seriösen Mailänder Blatt zitierte Augenzeuge. Fortsetzung auf Seite 6 Kommentar auf Seite 4 Als ein Polizeibus dann vorgefahren sei, habe eine Gruppe von Arbeitern das Fahrzeug umgestürzt und angezündet. Danach seien die Arbeiter aus den Bussen gestiegen und in kürzester Zeit habe sich eine Menge gebildet, die bewaffnet mit Messern, Eisenstangen, Flaschen und Steinen zum Rathaus gezogen sei. Bevor sie dieses in Brand gesteckt hätten, sei die Kantine geplündert worden. „Unsereins stirbt vor Hunger, und hier gibt es von allem, aber nur für die Parteibosse“, hätten die Leute geschrien und seien mit Käse, Salami, Kartoffeln, Mehl, aber auch mit Radios und Rechenmaschinen aus dem Rathaus gekommen. Danach sei die Menge zum Parteisitz gezogen, berichtet der Augenzeuge weiter, habe die roten Fahnen heruntergerissen und das Gebäude in Brand gesteckt. Immer wieder habe die Menge „Tod dem Ceausescu“, „Nieder mit der Partei“ und „Jetzt reicht es mit der Diktatur“ geschrieen. Etwa fünf Stunden lang habe die Revolte gedauert, bis nachmittags um zwei Uhr etwa tausend schwerbewaffnete Milizionäre und Soldaten anrückten. „Ich hatte den Eindruck, daß einige Stunden lang die Demonstranten die wirklichen Herren der Stadt waren“, berichtet der Augenzeuge. „Dann haben die Milizionäre in die Luft geschossen und Tränengasbomben in die Menschenmenge gefeuert“. Diese habe sich dann schnell aufgelöst. Am Montag seien dann hohe Parteifunktionäre vor den Fabriktoren aufgetaucht und hätten die Fabrikräte, die sich am Sonntag gebildet hätten, für illegal erklärt. Der Direktor der „Traktorul“ sei wegen Unfähigkeit abgesetzt worden. Polizei patrouilliere Tag und Nacht in den Straßen, vor den Fabriktoren kontrollierten Geheimpolizisten die Arbeiter, sämtliche Restaurants und Hotels seien geschlossen, und den Ausländern werde der Zutritt zur Stadt verwehrt, heißt es im Corriere wei ter. Aus einer westlichen Botschaft in Bukarest verlautete hingegen, ein Botschaftsbeamter habe am Donnerstag Brasov besucht und nichts Außergewöhnliches mehr bemerkt. Doch habe er gehört, daß es ähnliche Unruhen auch noch in anderen Städten gegeben habe. Die Regierung hatte vor wenigen Tagen für diesen Winter weitere Kürzungen bei der Energieversorgung angeordnet. Bereits im vergangenen Winter durften Räume öffentlicher Ämter nur bis zu einer Temperatur von zwölf Grad beheizt. Entgegen den Ratschlägen des Internationalen Währungsfonds (IWF), dessen Mitglied Rumänien ist und der dem Land eine langsame Rückzahlung seiner Außenschuld empfiehlt, will die rumänische Regierung diese möglichst schnell begleichen. Aufgrund dieser Zahlungsleistungen und einer fehlgeleiteten Industrialisierungspolitik hat Ceausescu dem Land seit Jahren eine drastische Sparkur verordnet. Der Gebrauch von Privatwagen in der Provinz wurde im letzten Winter untersagt, selbst die Benutzung elektrischer Haushaltsgeräte wurde verboten. Seit Oktober 1985 steht die Energiewirtschaft unter Militärverwaltung. Ob solch rigorose Maßnahmen viel Sinn machen, ist allerdings mehr als fraglich. Denn nur etwa zehn Prozent der im Land verbrauchten Energie werden privat konsumiert. Und in den ausgesprochen energieintensiven Branchen der Petrochemie und der Schwerindustrie kann nur bei Strafe des Verlusts der so bitter benötigten Devisen gespart werden. Das staatlich verordnete Frieren und die katastrophale Unterversorgung mit Grundnahrungsmitteln schüren die Unzufriedenheit der Rumänen mit ihrem „Conducator“ (Führer), wie sich Ceausescu, der das Land seit 22 Jahren diktatorisch regiert, amtlich zu nennen beliebt. „Uns ist es egal, ob wir erfrieren, verhungern oder erschossen werden“, stand Agenturberichten zufolge am letzten Sonntag an den Häuserwänden von Brasov. thos