Die beherzten Witwen von Palermo

■ Nach dem Großprozeß gegen die Mafia: Die Opfer bleiben bei der Suche nach Entschädigung auf sich selbst angewiesen / Gelder fließen zwar reichlich - tauchen aber als staatliche Zuwendungen für Betriebe auf, die sich später als mafios erweisen / Einschüchterungsversuche und juristische Fußangeln

Aus Palermo Werner Raith

„Vierzig Tage“, sagt Rosetta Giaccone, „werden sie nun brüten über dem Schicksal der 475. Dann werden sie einige verurteilen, manche sogar zu lebenslänglich. Und dann?“ Diese Frage bewegt in Palermo alle, die am Ausgang des Maxi– Prozesses gegen die Mafia direktes Interesse haben - und das sind keineswegs nur die Angeklagten, sondern auch die Witwen der Opfer, wie eben Rosetta Giaccone, Frau eines wegen der Verweigerung falscher Gutachten ermordeten Gerichtsarztes: Am späten 11.November verschwanden die zwei Berufs– und die zwölf Laienrichter nach 21 Verhandlungsmonaten (600.000 Protokollseiten fielen dabei an) für mindestens 40 Tage im Beratungszimmer zur Urteilsfindung. Und wenn sie kurz vor Weihnachten wieder herauskommen, besteht zum ersten Mal Hoffnung, daß zumindest für eine Reihe der unzähligen Gewalttaten, Räubereien, Erpressungen und Morde Urteile verhängt werden - und daß sich danach die Politiker erstmals gezwungen sehen werden, die Frage einer Versorgung der Tausenden von Hinterbliebenen der Clankriege in Sizilien und Unteritalien anzugehen. Mehrere hundert Frauen kennt die von Giovanna Terranova, Witwe eines ermordeten Richters, gegründete „Sizilianische Vereinigung von Frauen gegen die Mafia“, die nach dem Tod ihrer Männer ohne Versorgung dastehen, ohne Wohnung, aber meist mit mehreren Kleinkindern oder halbwüchsigen Jungen. Keine Versorgung von Mafiaopfern Bislang standen die Chancen für Hilfen schlecht. Nicht nur, daß couragiert als Nebenklägerinnen auftretende Frauen wie Rosetta Giaccone täglichen Einschüchterungsversuchen ausgesetzt sind, durch die sie zur Rücknahme ihrer Anzeige gezwungen werden sollen. Italien, zwar eines der Ursprungsländer abendländischen Rechts und Stammland von Wörtern wie „humanitas“, hat es bis heute nicht für nötig befunden, die Versorgung von Gewaltopfern staatlich zu garantieren. Zwar fließen zum Beispiel nach Sizilien und Calabrien - wo seit Beginn der 80er Jahre jeweils mehr als 1.000 Menschen bei mafiosen Anschlägen umgekommen sind - überreichlich Gelder, doch die verbrauchen sich dann in mächtigen Bauaufträgen und staatlichen Zuwendungen für Betriebe, die sich später als mafios erweisen. Für die Hinterbliebenen der Clankriege aber fällt kein Centesimo davon ab. Und selbst da, wo sich Gemeinden inzwischen vom Ruch der Mafiosität befreit haben wie in Palermo, und wo einsichtige Bürgermeister helfen wollen, blockieren Gesetze, daß es zu einer Entschädigung kommt; Gesetze, die man durchaus als Sippenhaft bezeichnen kann. So etwa im Fall Pietra Lo Verso. Frau Lo Verso, vier Kinder, heute 38 Jahre, hat vor drei Jahren ihren Mann bei einem Anschlag verloren, bei dem neben ihm auch noch sieben andere Männer - darunter drei Verwandte Pietras - mit einer Maschinengewehrsalve umgemäht wurden. Frau Lo Verso versuchte, sich durch die Fortführung der Fleischerei ihres Mannes über Wasser zu halten. Doch seit sie im Prozeß als Nebenklägerin aufgetreten ist, kam niemand mehr zu ihr einkaufen. Heute versetzt sie auch die letzten Schmuckstückchen aus ihrer Ehe und muß wohl bald die Wohnung verlassen. Sie lebt von Geschenken ihrer Nachbarn und bekommt ab und zu ein Almosen von einem mitleidigen Pfarrer. Im Januar 1987 hat sie deshalb einen Brief an den palermitanischen Bürgermeister Leoluca Orlando geschrieben und um Arbeit gebeten, „weil sonst meine Kinder auf der Straße stehen werden, und die Konsequenz daraus kennen wir alle“. Orlando, nichtmafioser Stadtregent, hat Frau Lo Verso aufgeklärt, daß es leider keine Gesetze für Mafia–Opfer gebe, doch er versprach, sich beim Postenbe schaffen für Frau Lo Verso zu verwenden. Der Posten ward bei der Regionalverwaltung bald ausgeguckt, und Frau Lo Verso bewarb sich. Nach mehr als einem dreiviertel Jahr kam vorige Woche nun die Antwort: Leider, leider könne man Frau Lo Verso nicht einstellen - dagegen nämlich gebe es ein präzises Gesetz: Angehörige von Personen, die möglicherweise etwas mit mafiosen Händeln zu tun gehabt haben, dürften keine Stelle bei der Regionalverwaltung bekommen. Die Tatsache, daß Frau Lo Versos nicht vorbestrafter Mann bei einem Hinterhalt umkam, in dem eventuell „mafiose“ Konten beglichen wurden, verhindert, daß sie Arbeit bekommt und ihre Kinder vor dem unweigerlichen Zugriff der Straße retten kann. Die beherzten Witwen Von der „Einsamkeit der Opfer“ berichten auch andere Frauen - Fälle davon aus den 50er Jahren sind dokumentiert. Damals versuchte der spätere Staatspräsident Pertini als Anwalt der Witwe Carnevale, deren Mann in Sciara erschossen worden war, zu ihrem Recht zu verhelfen - vergebens, der Verteidiger der Angeklagten, Giovanni Leone, ebenfalls später Staatspräsident, setzte sich durch. In den 60er Jahren trat eine andere „mamma corraggio“ auf (wie die Italiener die beherzten Witwen nennen - um sie dann alleine zu lassen): Serafina Battaglia hatte ihren Mann und kurz danach ihren Adoptivsohn bei mafiosen Attentaten verloren und suchte öffentlich Gerechtigkeit - vergebens. Erst 1978 getraute sich eine andere Hinterbliebene wieder aus dem Netz der Verschwiegenheit, in dem die Opfer meist verbleiben, heraus. Felicia Impastato war in einer mafiosen Familie aufgewachsen, hatte ihren Sohn aber zum Kampf dagegen angehalten - 1978 wurde er im Auftrag der mächtigen Familie Badalamenti umgebracht. Ebenso wie Serafina Battaglia hatte auch Felicia Impastato kein Glück bei den Richtern - sie sprachen, gegen alle Beweise, alle Angeklagten frei. Während allerdings die Witwe Battaglia am Ende resignierte und ihre Wohnung zur stummen Kapelle des Andenkens für ihren Mann und ihren Sohn machte, kämpft Felicia Impastato weiter. Nach ihrem Sohn ist ein Antimafia–Zentrum in Palermo benannt, neuerdings hat sie auch in langen Interviews beschrieben, in welchem Ausmaß viele Familien Palermos von der Mafia durchsetzt sind. Der Kampf um eine wenigstens finanzielle Hilfe, wenn es schon keine Gerechtigkeit geben kann, nimmt mitunter absurde Züge an. Die Witwe Maria Benigno zum Beispiel kämpft seit sieben Jahren um eine Rente - vergebens. Die Behörden verwiesen darauf, daß sie zuerst als Nebenklägerin in den Mordprozessen auftreten müsse. Das tat sie - sie war zudem Augenzeugin des Mordes an ihrem Mann und hatte den Killer wiedererkannt. Doch dann verwandelte sich das Gericht in ein regelrechtes Tribunal - gegen Frau Benigno: Die Verteidiger der Angeklagten verlangten psychiatrische Gutachten, die die „eindeutige Verrücktheit der Frau“ beweisen sollten. Der Clou dabei: Einer der „Beweise“ für die Verrückheit sollte just das Ansinnen sein, vom Staat eine Pension für die Ermordung des Mannes zu bekommen. Die von Frau Benigno identifizierten Männer wurden freigesprochen - und die Behörden verweigern weiter die Rente mit der Begründung, man wisse ja gar nicht genau, ob ihr Mann durch die Mafia umgebracht worden sei. Falls die Richter im Maxi–Prozeß Haftstrafen verhängen, wird zumindest diese juristische Ausflucht verschlossen sein.