Was macht die Friedensbewegung ohne Raketen?

■ Am Wochenende treffen sich Initiativen und Organisationen zur bundesweiten Strategiekonferenz / Ist das INF–Abkommen ein Grund zum Feiern? / Fixierung auf Pershing II und Cruise Missiles erschwert Neuorientierung / Aufklärung über die fortbestehende Kriegsgefahr

Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Sechs Jahre lang wurden sie gemalt und gezimmert, auf Buttons gepreßt und in Salzteig gebacken: die Raketen. Nun, da ein Abkommen zur Beseitigung der Mittelstreckenraketen greifbar nahe ist, steht die Friedensbewegung vor der Gretchenfrage: Was tun? Wenige Tage vor dem sowjetisch– amerikanischen Gipfel werden sich am Wochenende die Initiativen und Organisationen der Friedensbewegung zur „Aktions– und Strategiekonferenz“ treffen. Im Mittelpunkt der zweitägigen Veranstaltung in der Bonner Mensa steht die Frage: Das Abkommen - ein Grund zum Feiern? Die Diskussion wird kontrovers sein. Das „Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit“ (KoFAZ) sieht das Abkommen als „historischen Durchbruch“ an, weil eine besonders „destabilisierende Waffenkategorie“ verschwinde und sich dadurch auch die offensiven Strategien der NATO relativieren würden. Der KoFAZ–Appell: „Feste feiern!“ Die Gruppen um die „Bundeskonferenz Unabhängiger Friedenskonferenz“ (BUF) halten das dagegen für eine „gefährliche Konsequenz“: Angesichts der Umrüstung auf see– und luftgestützte Raketen und der vestärkten konventionellen Rüstung bleibe nach dem Abkommen unter dem Strich Aufrüstung statt Abrüstung. Im Mittelfeld liegen Stimmen wie die von „Pax Christi“: ein Silberstreif der Abrüstung am Horizont, aber kein Anlaß für Jubelfeiern - „Die Friedensbewegung steht nach wie vor am Anfang.“ Daß die Friedensbewegung angesichts des INF–Abkommens überhaupt vor der Frage der eigenen Existenzberechtigung steht, rührt daher, daß sie sich nie wirklich über das Niveau einer „Ein– Punkt–Bewegung“, fixiert auf Pershing II und Cruise Missile, hinausentwickelt hat. Zwar wurde der Minimalkonsens nach dem Stationierungsbeschluß 1983 auf dem Papier um andere Bereiche der Rüstungspolitik erweitert, doch ihre Stabilität zog die Bewegung immer aus diesen Nachrüstungs–Raketen im eigenen Land. Ob sich diese Fixierung nun, da sie durch die Verhandlungspolitik der Supermächte obsolet geworden ist, produktiv aufbrechen läßt, wird das kommende Wochenende zeigen. In sieben Arbeitsgruppen stehen die Themen für die künftige Orientierung zur Debatte: etwa die bundesdeutschen Atomoptionen und die militärische Zusammenarbeit BRD–Frankreich. „Über die Schwerpunkte der künftigen Arbeit, neue Kampagnen und Aktionen der Friedensbewegung gibt es bisher keine einheitlichen Vorschläge“, heißt es im Bonner Koordinierungsausschuß. „Radikale Kritik“ und „Aufklärung über die fortbestehende Kriegsgefahr“ nennt die „Hamburger Friedenskoordination“ als Aufgabe der Bewegung. Denn gerade jetzt drohe verloren zu gehen, was das Verdienst der Friedensbewegung war: Ein kritisches Bewußtsein gegenüber der herrschenden Sicherheitspolitik in weiten Teilen der Bevölkerung.