Mit Comics und Personenkult

■ Im koreanischen Wahlkampf drängeln sich die Bewerber, aber es fehlt an Themen

Am 16. Dezember werden in Südkorea die ersten freien Präsidentschaftswahlen seit 1971 stattfinden, im Februar soll die militärisch–zivile Diktatur unter Chun Doo Hwan abtreten. Doch trotz günstiger Voraussetzungen zurücktritt, und statt der Zukunft bestimmen Personenkult und regionale Zänkereien die Debatte.

Ein kleines Comicbuch macht derzeit in Seoul die Runde: Vom Cover blickt der „Bürger von Yonhidong“, im blauen Geschäftsanzug und mit einer Flagge, die Demokratie verheißt. Der Karikaturist hat ihm Riesenohren verpaßt, und mit der Hand macht er das Siegeszeichen. Wer ist es? Kein Zweifel, Roh Tae–Woo, Präsidentschaftskandidat der regierenden Democratic Justice Party (DJP). Yonhidong ist ein Stadtteil von Seoul, und Roh soll der Mann auf der Straße sein. Aber gab es nicht einmal einen General namens Roh Tae–Woo, der im Dezember 1979 eine Armeerevolte unterstützte, die den Boden für einen Militärputsch fünf Monate später bereitete? Nun ja, schon, aber inzwischen finden die Imagemacher es ratsamer, Roh als einen Freund der Demokratie zu portraitieren. „Wir verfolgen die Idee der Dreieinigkeit“, erklärt dazu Chin Kyung Tak, Direktor der Publicity–Abteilung der DJP. „Der 29. Juni 1987 (an diesem Tag verkündete Roh seine Zugeständnisse an die Opposition, d. Red.) ist eins mit der Demokratisierung, und die Demokratisierung ist untrennbar mit dem Namen Roh Tae– Woo verbunden. Wenn wir das vermitteln können, wird das militaristische Image verblassen“. Dementsprechend ist Roh auf keinem Poster mehr zusammen mit dem im Februar abtretenden Diktator Chun Doo Hwan zu sehen. Statt dessen zeigt er sich im interessierten Gespräch mit Jugendlichen und läßt sich nicht mehr, wie es seinem Generalsrang entsprechen würde, die Tasche hinterhertragen. Selbst die großen Ohren im Comic sind kein Zufall. Sie spielen auf die Frage eines amerikanischen Reporters auf einer Pressekonferenz an: Herr Roh, man sagt, Sie seien ein Mann mit großen Ohren... Auch in den Hauptquartieren der Opposition herrscht rege Betriebsamkeit. Posters und Slogans werden entworfen, Tonband– und Videokassetten mit Reden der beiden Konkurrenten Kim Dae Jung und Kim Young Sam werden vorbereitet. Die ersten freien Präsidentschaftswahlen seit 16 Jahren verheißen Klamauk und politische Dramen in einem: Die Opposition versucht die jahrzehntelange repressive Herrschaft des militärisch–technokratischen Blocks abzuschütteln, dessen Opfer die beiden Kims oft genug geworden sind. Die Regierungspartei ihrerseits will sich und Roh als Vollstrecker des Volkswillens präsen tieren. Das Ergebnis der PR–Bemühungen ist bei allen Dreien eine Mischung von Idealismus und Glorienschein, Ehrgeiz und Comic–Heftchen. Vor kurzem hat auch der Generalmanager von Kim Young Sams Kampagne sein Konzept vorgelegt: „Das wichtigste ist, ihn als den Kämpfer gegen die Diktatur darzustellen.“ Kims Comic–Portrait mit dem Titel „Die 24. Stunde in Sangdodong“ (sein Wohnviertel in Seoul) erzählt die Lebensgeschichte eines langjährigen Abgeordneten der Opposition unter wechselnden Diktatoren, aber es betont auch Kims moderaten Charakter: ein Mann, der für begrenzten Wandel und eine saubere Regierung eintritt (während Roh bzw. Kim Dae Jung „kein“ bzw. ein „radikaler“ Wandel unterstellt werden). Die Titelseite des inzwischen in 300.000 Exemplaren verbreiteten Pamphlets zeigt Kim Young Sam, wie er mit Füßen und Fäusten die Verfassung des verstorbenen Diktators Park Chun Hee traktiert. Auch äußerlich hat Kim das Rennen aufgenommen: Das Grau ist in sein schon ausgebleichtes Haar zurückgekehrt. Der dritte aussichtsreiche Kandidat, Kim Dae Jung, stellt sich als das Gewissen der Nation dar und als einziger, der die nationale Aussöhnung bewerkstelligen könnte. Seine Kampagne folgt den „drei Cs Courage, Conscience, Capacity“ (Mut, Gewissen, Fähigkeit), ein Videoclip trägt den aufmunternden Titel: Conscience in Action. Da Kim Dae Jung von seiten der Regierung hart unter Beschuß geraten ist, versuchen seine Mitarbeiter, ihn vom Ruch des Radikalen zu befreien und statt dessen seine Weitsicht zu betonen. Auf gelben Plakaten, die an den Wahlkampf von Corazon Aquino erinnern, plädiert er für Hoffnung und Stabilität. Die Flagge seiner neugegründeten Partei für Frieden und Demokratie zeigt eine weiße Taube in schwarzem Kreis auf gelbem Grund, und der Kandidat selbst gewandet sich am liebsten traditionell in schwarzer oder roter Robe, um an den Nationalismus seiner Anhänger zu appellieren. Am meisten dürften die Produzenten von Souvenirs bislang an der Kampagne verdient haben. In den kleinen Fabriken für Zigaretten, Feuerzeuge, Stifte, Handtücher und anderen Krimskrams werden in letzter Zeit massenweise Überstunden gemacht. Nick B. Williams Jr. (wps)