Dezente Warnung Thatchers

■ Englands Regierungschefin irritiert über militärische Annäherung zwischen Bonn und Paris / Die eiserne Lady warnt vor „Substrukturen“ in der NATO

Aus Paris Georg Blume

Bestrebungen der Mächte auf dem Kontinent nach größerem Spielraum gaben in London stets Anlaß zur Skepsis. Jetzt sorgt sich die britische Premierministerin Thatcher um die Militärachse Bonn–Paris. In einem am Montag veröffentlichten Interview mit der Financial Times griff Thatcher die deutsch–französische militärische Zusammenarbeit überraschend heftig an. „Ich denke, wir müssen aufpassen, daß sich in Europa keine Substrukturen her ausbilden, die unbeabsichtigt die Bindungen durch die Atlantische Allianz unterhöhlen könnten“, so beurteilte die Regierungschefin die jüngsten Annäherungen zwischen Bonn und Paris in der Verteidigungspolitik. Und weiter: „Es ist wichtig, daß die (deutsch– französischen) Übereinkünfte insgesamt keinen eigenständigeren Charakter annehmen.“ Margaret Thatcher erteilt damit eine unmißverständliche Vorwarnung an die Regierungen dies– und jenseits des Rheins. Schließlich schicken sich Bonn und Paris gerade an, mit dem 25. Jahrestag des deutsch–französischen Freundschaftsvertrages am 22. Januar des kommenden Jahres die Bildung eines bilateralen Verteidigungsrates und die Aufstellung eines gemeinsamen Heeresverbandes zu feiern. Verteidigungsrat und Heeresverband, die zwei „Lieblingsideen Kohls“ (Spiegel), werden in der Tat auf französisches Verlangen außerhalb der gewohnten Koordinations– und Militärstrukturen der NATO stehen. Deshalb nun wie Margaret Thatcher von neuen „Substrukturen“ zu sprechen, dürfte in Bonn und Paris gleichermaßen Ärgernis hervorrufen. Gerade in Frankreich hatten sich Präsident und Regierung seit geraumer Zeit verstärkt bemüht, die militärstrategischen Widersprüche zwischen französischer Strategie und NATO–Doktrin abzubauen, um mit den europäischen NATO–Ländern ein gemeinsames westeuropäisches Verteidigungskonzept zu entwicklen. Erst das französische Zugehen auf die NATO–Doktrin machte es Bonn möglich, gegenüber Paris Offerten zu bieten. Deshalb muß die von Thatcher heute erkannte Gefahr einer „Unterhöhlung“ der NATO vordergründig erscheinen. Auch in London weiß man, daß Mitterrand und Kohl nicht gegen die NATO spielen. Die britische Regierung muß vielmehr bewegen, daß ihre Vormachtstellung innerhalb der europäische NATO–Länder bedroht ist, die ihr bisher als treuester US– Vasall in einer auf die US–amerikanische Schutzgarantie ausgerichteten Atlantischen Allianz gesichert war. Fortsetzung auf Seite 2 Mit den derzeitigen Tendenzen jedoch, die eine West–“Europäisie rung“ der NATO–Verteidigungspolitik, eventuell gar einen militärischen Teil–Rückzug der USA aus Westeuropa versprechen, ist es mehr und mehr Frankreich, das im Vergleich zu Großbritannien die verteidigungspolitische Initiative in Westeuropa ergreift. Paris hat heute nicht zuletzt deshalb eine größere politische Freiheit als London, weil es das eigene Atomwaffenarsenal in der Tat als unabhängig bezeichnen kann, während englische Atom–U– Boote nach wie vor auf die Wartung in US–amerikanischen Werften angewiesen sind. Daß sich Margaret Thatcher vor allem um französische Absichten ängstigt, machte sie mit einem ebenso alten wie derzeit deplazierten Statement deutlich: „Die bestmögliche Sache wäre natürlich“, so Thatcher, „...wenn Frankreich in die NATO zurückkehren würde.“ Davon ist Paris weit entfernt. Allerdings: Wenn Thatcher Paris auch lieber unter der direkten NATO–Bestimmung sähe, in einem ist man sich kanalübergreifend dennoch einig: eine über das Mittelstreckenraketenabkommen hinausgehende atomare Abrüstung soll es in Westeuropa nicht geben. Auch das bestätigte Margaret Thatcher in ihrem jüngsten Interview.