Umweltkosmetik für die Nordsee

■ Auf der Londoner Konferenz der Anrainerstaaten bleibt es bei Absichtserklärungen / Von Rolf Paasch

Es war Prinz Ch

Die toten Fische und der Wattenmeerwurm haben Schwierigkeiten, sich zum Queen Elisabeth– Konferenzzentrum vorzuarbeiten. Da Prinz Charles das Politspektakel der Zweiten Ministeriellen Nordseekonferenz eröffnet, werden Schutzmaßnahmen großgeschrieben, zum Schutz derjenigen, versteht sich, die sich hier in London erst noch über Maßnahmen zum Schutz der Nordsee einig werden müssen. Den als Nordseebewohner verkleideten Teilnehmern des deutschen Straßentheaters ist die bobbybestandene Umwelt zwischen Westminster Abbey und dem neuzeitlichen Konferenzgebäude fast so feindselig, wie die Nordsee dem von ihnen repräsentierten Meeresgetier. Ein mitgebrachter Lord Nelson - der, nicht nur was seine soziale Herkunft anbetrifft, Ähnlichkeiten mit dem britischen Delegationsleiter Lord Belstead aufweist - hält sich das Fernrohr vor die schwarze Augenklappe. Die Vertreter der acht Anrainerstaaten im Inneren des Konferenzgebäudes hingegen leiden vor allem unter Weitsichtigkeit. Sie erkennen mühelos, welchen Giftmüll der Nachbar in die Nordsee einleitet, nicht aber die selbstverschuldete Umweltverschmutzung. Überhaupt stand schon die gesamte Vorphase dieser Ministerkonferenz im Zeichen gegenseitiger Schuldzuweisungen. Bundesumweltminister Klaus Töpfer schipperte auf dem mit norddeutschen Landräten und Tourismusvertretern bevölkerten Bäderdampfer „Pidder Lyng“ die Themse hinauf und erzählte den geladenen britischen Journalisten von den Leiden des Wattenmeeres. Die Angesprochenen waren von der bundesdeutschen Invasion fast so erschreckt wie die Offiziellen in den Etagen des britischen Umweltschutzministeriums. „70 deutsche Journalisten für Umweltkonferenz akkredi tiert“, meldete der Independent etwas hilflos. Sonst hüllte sich die britische Presse über die Konferenz in beredtes Schweigen. Jedenfalls sah sich Lord Belstead - die Konservierung des Status quo (auch der Umwelt) war hierzulande schon immer der Job der upper class - zu einer Informations veranstaltung für deutsche Journalisten veranlaßt. Souverän ließ er die Tabellen des Schlußdokuments an die Wand werfen, die bewiesen, daß die Einleitung von Stickstoff und Phosphor zu rund 70 dann folgten Karten, auf denen riesige Mengen Kadmium, Stickstoff und Phosphor aus den kontinentalen Flußmündungen von Rhein, Weser und Elbe in die bedrohte Nordsee quellen. „Herr Minister“, so sein referierender Adlatus, „lassen Sie mich das den Herren in aller Offenheit sagen: Ihr Problem liegt vor ihrer eigenen Haustür.“ Da hätte selbst Greenpeace zugestimmt. Doch deren Sprecher Andy Booth übte auch Kritik an der britischen Wasserverseuchungspolitik nach dem Prinzip des „erweiterten Kamins“. Zuerst hätten sie die Klärschlämme in die Themse gekippt, dann ins Themsedelta und demnächst gingen die Giftstoffe, über deren Wirkungen nur sehr wenig bekannt ist, in den offenen Atlantik. Woraufhin die Greenpeaceschiffe Sirius und Rubicon gestern morgen mit acht Fischerbooten den nächsten Klärschlammtransporter gleich im Hafen von Newham festsetzten. „Dieses Schwarze–Peter–Spiel ist schon pervers“, meinte anschließend ein Mitglied der angereisten bundesdeutschen Umweltschutzgruppen, die Gefahr liefen, in diese politischen Schaukämpfe gegenseitiger Schuldzuweisungen integriert zu werden. Dabei waren sich von Greenpeace bis zu „Seas at Risk“, der ersten Dachorganisation vieler internationaler Gruppen, alle einig, daß „seit der letzten Konferenz in Bremen 1984 in Sachen Nordseeschutz nicht viel passiert ist“. Mit Ausnahme der einseitigen Absichtserklärungen einiger Länder vielleicht, die Verklappung von Giftstoffen umgehend einzustellen. Auch von dieser Nordseekonferenz erwarten viele nur „Lippenbekenntnisse statt konkrete Schutzmaßnahmen“, wie es der „Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland“ formulierte. Denn während die atomkraftlosen Dänen zur Reduzierung radioaktiver Einleitungen den Einsatz „bestverfügbarer Technologien“ fordern, will Maggies umweltpolitischer Ayatollah, Nicolas Ridley, nur von einer „Berücksichtigung“ dieser Technologien wissen. Zieht man die just am Montag von der EG veröffentlichten Werte über radioaktive Einleitungen in Betracht, dann entspricht die Haltung des Konferenzausrichters in der Tat einem umweltverschmutzenden Fundamentalismus. Nach den Vergleichszahlen leitet die durchschnittliche britische Atomanlage im Vergleich zu einer bundesdeutschen die 1.500fache Menge radioaktiv verseuchten Wassers ab. Nur die WAA von Le Hague übertrifft jetzt den lange von Sellafield gehaltenen Verseuchungsrekord, worüber in London allerdings kaum geredet wird. Der französische Journalist, der sich auf die Pressekonferenz einer Umweltorganisation verläuft, muß wohl erst noch geboren werden. Auf eine Maßnahme dürften sich die Delegierten Großbritanniens, Belgiens, der Niederlande, Dänemarks, Schweden, Norwegens und der Bundesrepublik allerdings mit Sicherheit einigen: auf den vorgeschlagenen Fünf– Jahres–Plan zur Datenerhebung und weiteren Überwachung des (waschmittel–)geschäumten Flachmeeres. „Daten?“ fragte dazu der Kieler Toxikologe Dr. Wassermann. „Wir haben doch schon Tonnen alarmierenden Datenmaterials, das nur endlich ernst genommen werden müßte.“