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Plutonium strahlt im Nachtexpress

■ Anti–Atom–Bündnis versuchte Brennelemente–Transport zu stoppen / Jetzt reist das Plutonium durch die Republik - von Atomgegnern verfolgt

Aus Stuttgart Dietrich Willier

Spätestens heute morgen wird ein 60 Tonnen schwerer Bahntransport mit plutoniumhaltigen Atombrennstäben aus Obrigheim am Neckar im Lübecker Ostseehafen angekommen sein. Und das erste Mal ist es dabei Atomkraftgegnern gelungen, den Strahlentransport auf seinem langen Weg zu verfolgen. Atommüllbestückte Schwertransporter aus Kahl am Main sollten über bundesdeutsche Autobahnen ebenfalls versuchen, rechtzeitig dorthin zu kommen. Die strahlende Fracht wird in Lübeck auf das schwedische Spezialcontainerschiff „Sigyn“ verladen, um zur 30jährigen „Endlagerung“ in die Kavernen des schwedischen Zwischenlagers CLAD gebracht zu werden. Fünfmal im Jahr macht allein der Obrigheimer Atommüll diese Reise. Und weil die Schweden selbst genug von dem Zeug haben, geht schwedischer Atommüll quasi im Recycling zur Wiederaufarbeitung ins französische La Hague, von dort nach Hanau und zurück ins badische Obrigheim. Der geschlossener Atomkreislauf. Bedenklich scheint den Organisatoren dieser Versandhandel freilich nicht: Die Beförderung entspreche den Rechtsvorschriften, die zulässige radioaktive Strahlung werde nicht überschritten, Strahlenschützer und Bahnpolizei begleiteten den Konvoi. Wochenlang hatten zahlreiche Gruppen des Anti–Atom–Bündnisses recherchiert, hatten Fahrpläne studiert und die Fahrtzei ten, Aufenthalte und Rangierarbeiten schwäbischer Güterzüge gestoppt. Andere Gruppen halfen mit, quer durch die ganze Republik, Ankunfts– und Abfahrtszeiten baden–württembergischer Brennelementetransporte per Bahn zu registrieren. Am Montag nachmittag war es soweit. Ein Güterzug hatte die Heilbronner Verladestation des schwäbischen Energieversorgungsunternehmens EVS mit Ziel Lübeck/Ostsee verlassen und wurde sogleich gestoppt. Zehn Mitglieder des baden–württembergischen Anti–Atom–Bündnisses hatten sich am Bahndamm versammelt, vier von ihnen lagen auf den Gleisen. Über ihnen ein Transparent, das den Güterzug, beladen mit plutoniumhaltigen Mischoxyd–Brennelementen aus dem badischen Kernkraftwerk Obrigheim, zum Stop aufforderte. Der Zug hielt an, Bahnpolizisten sprangen heraus und entrissen den vier Blockierern die zum Anbinden mitgebrachten Ketten. Fortsetzung auf Seite 2 Heilbronner Bereitschaftspolizei hatte sich mittlerweile eingefunden und das Gelände nahe dem Neckarhafen weiträumig abgesperrt. Die Personalien der Blockierer wurden überprüft. Der Zug rollte langsam zurück zu seinem Ausgangsort. Dort waren Obrigheimer Brennstäbe per LKW angeliefert worden: ein 60–Tonnen– Schwertransport. Nachmittags hatten Streifen der Polizei noch einzelne Blockadeteilnehmer in Heilbronns Innenstadt verfolgt, das Büro der Initiative wurde bis in die frühen Morgenstunden observiert. Um Mitternacht, so stellten Mitglieder des Anti–Atom–Bündnisses fest, hatte der Plutoniumexpress seine Reise, begleitet von Obrigheimer Strahlenschützern, quer durch die Republik zum Ostseehafen Lübeck aufgenommen. Gegen zwei Uhr am Dienstag morgen war der Transport ein letztes Mal in Heidelberg und dann auf dem Frankfurter Rangierbahnhof gesehen worden. Im weiteren Verlauf des Vormittags warteten Bonner Beobachtungsposten vergeblich auf seine Ankunft. Der vom Atomgesetz vorgeschriebene „Schutz gegen Störmaßnahmen“ des Transports, so ein Sprecher des Atomkraftwerks Obrigheim, verbiete die Veröffentlichung der Reiseroute. Beladung und Abfahrt des schweren Tiefladertransports, begleitet von Polizeifahrzeugen, sei aber zumindest in Obrigheim längst kein Geheimnis mehr. Der Behälter mit dem plutoniumhaltigen Atommüll, so ein Sprecher des AKW–Obrigheim, sei von der physikalisch– technischen Bundesanstalt in Braunschweig überprüft und genehmigt worden. Zu einer Rücknahme des Mülls, wenn auch erst nach 30 Jahren, habe man sich nicht verpflichtet. Zwar hat der schwedische Atommüllfrachter „Sigyn“ seine strahlende Ladung in den vergangenen fünf Jahren meist glimpflich über die Ostsee gebracht. Garantien aber, daß die heiße Last aus Obrigheim nicht eines Tages doch nach Seemannsart bestattet würde, gibt es nicht. Das Schiff, in dem alle Funktionen doppelt ausgelegt und zum Strahlenschutz ein 15 Zentimeter dicker Betongürtel eingezogen wurde, war bei seiner Jungfernfahrt vor fünf Jahren auf einen Felsen aufgelaufen und gesunken. Seit seiner Hebung dient es den Plutoniumtransporten.

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