Trotz Startbahn: Frankfurts Flughafen wuchert weiter

■ Der „pulsierende Mittelpunkt“ des Verkehrsknotenpunktes Frankfurt soll weiter ausgebaut werden / Kapazitätsgrenze bald erreicht / Damit sind die Gegenkalkulationen der Bürgerinitativen über die Entwicklung des Flugaufkommens widerlegt / „Vorläufiger Rodungsantrag“ für Süderweiterung / Bürgeranhörung schwach besucht

Von Imma Harms

„Wir wollen pulsierender Mittelpunkt des reibungslos funktionierenden Verkehrssystems bleiben“, hatte der Chef der Frankfurter–Flughafen–Gesellschaft (FAG) im Generalausbauplan von 1985 angekündigt. Tatsächlich hatte schon zum Zeitpunkt der Einweihung der Startbahn West 1984 festgestanden, daß der Großflughafen seine Kapazitätsgrenze bald wieder erreicht haben würde. Die Erweiterungspläne hatte die FAG zu diesem Zeitpunkt schon in der Schublade. Im April 1985 veröffentlichte sie den Generalausbauplan, der die wichtigsten Ausbauvorhaben ausweist: Vergrößerung der Vorfeldflächen für die Frachtabfertigung, Erweiterung der Terminals im Bereich C und D, Neubau von Büros und Parkplätzen, Umbau von Flugsteigen für Großraumflugzeuge und Erweiterungen in den Straßen– und Bahnanschlüssen des Flughafens. Insgesamt sollen in den nächsten zwölf Jahren 4,1 Milliarden Mark verbaut werden. Wenn es nach dem Willen der Flughafen–Planer gegangen wäre, wäre jetzt am südlichen Rand des Geländes schon wieder die Kreissäge tätig und würde etwa 40 Hektar Wald umlegen. Dort, in unmittelbarer Nachbarschaft zur US–Air–Base, soll Ausgleichsgelände für Wartungshallen, Verwaltungs– und Kantinengebäude sowie Hangars, Werkstätten und Abfertigungsgebäude geschaffen werden. Die Neubauten sollen entsprechende Anlagen im Osten des Flughafens ersetzen, wo im Zuge des gleichen Bauvorhabens das Terminal Ost entstehen wird. In weiser Voraussicht hatte die FAG diese südliche Erweiterungsfläche schon vor Jahren erworben. Ein zusätzliches Stück, das noch dem Land Hessen gehört, soll durch Gebietsaustausch dazukommen. Aber die anvisierten Erweiterungsgebiete sind im Flächennutzungsplan als Waldgebiete ausgewiesen und müssen in einem komplizierten Änderungsverfahren zu Gewerbegebieten umgewidmet werden. Der Behördenschriftwechsel über dieses Vorhaben zieht sich bereits ein Jahr hin. Noch im Sommer hatte die FAG die hessische Staatskanzlei dringlich gemahnt, den Abweichungsbeschluß alsbald herbeizuführen, denn „mit den Bauarbeiten muß spätestens im Herbst dieses Jahres begonnen werden“. FAG will Bäume „vorläufig“ roden Doch die bürokratischen Mühlen mahlen langsam und vor allem ordnungsgemäß. Am Montag letzter Woche fand eine Bürgeranhörung statt, die der Umlandverband, der Zusammenschluß der Kommunen der Region, veranstaltete. Allerdings blieben die Bürger aus. Die örtlichen Grünen und die Experten des Umlandverbandes und der FAG konnten ihre sattsam bekannten Argumente unter Ausschluß der Öffentlichkeit austauschen. Im Januar will der Umlandverband den Offenlegungsbeschluß fassen, der den Bürgern abermals die freie Planbesichtigung und Meinungsäußerung bis zum April einräumt. Mit einem endgültigen Beschluß rechnet Verbandssprecher Dr. Rautenstrauch bis zum Herbst 88. Mit anderen Worten, die Bauarbeiten, die auf der Planänderung beruhen, könnten erst frühestens in einem Jahr begonnen werden. Vorsorglich hat die FAG allerdings einen Rodungsantrag für ihr Gelände gestellt. Sollte das schon vor der Planumwidmung genehmigt werden, dann bliebe der Wald zwar nominell weiter Wald, allerdings die Bäume könnten „vorläufig“ abgeholzt werden. Dr. Rautenstrauch findet, das wäre „zwar nicht ganz korrekt“, hält es jedoch für möglich, daß die FAG diesen Weg der Macht des Faktischen beschreiten könnte. Im übrigen ist der Sprecher des Umlandverbandes davon überzeugt, daß der Flächenfraß des Großflughafens, der Wald in Flughafengelände oder Industriegebiet verwandelt, weitergeht. Die steigenden Fluggastzahlen, Frachttonnagen und Flugzeugbewegungen fordern ihren Tribut von allen Teilen der umgebenden Infrastruktur. Vor zwei Jahren ging man noch davon aus, daß sich die Fluggastzahl bis zum Jahr 1999 auf rund 27 Millionen (gegenwärtig 20 Mio.) und die Luftfracht auf 1,25 Mio. Tonnen (jetzt etwa 800.000 t) steigern würden. Die Zuwachsraten liegen aber inzwischen sehr viel höher, nämlich bei rund zehn Prozent. Die sorgsam ausgetüftelten Gegenrechnungen der BIs sind damit widerlegt, und es wird einmal mehr deutlich, daß sie mit ihrem Hauptargument gegen die Startbahn, sie werde nicht gebraucht auf das falsche Pferd gesetzt hatten. Denn die enorme Steigerung ist darauf zurückzuführen, daß die Rechnung vom „pulsierenden Mittelpunkt“, der die Industrien anzieht, durchaus aufgeht. Etwa 50 Prozent der Flüge (im Inlandverkehr nahezu alle), werden von der Lufthansa durchgeführt. Ungefähr die Hälfte davon sind Geschäftsflüge. In Frankfurt trifft sich das Business. Dort finden sich die zehn Filialen der größten internationalen Banken, die Hauptsitze der fünf größten bundesdeutschen Banken, 341 Kreditinstitute, 142 Versicherungen, 200 Werbeagenturen, von anderen Behörden, Organisationen, Amtssitzen ganz zu schweigen. Drehscheibe für Finanzwelt und Computer–Industrie Eine weitere, äußerst kapitalträchtige Branche hat sich den Frankfurter Flughafen zur Drehscheibe ihrer Geschäfte erkoren. Wie ein Ring umlagern 26 Zentralverwaltungen und Zentrallager der internationalen Computer–Industrie den Großflughafen. Ob IBM, Olivetti, Honeywell Bull, Digital Equipment - alle Großen der Branche haben ihre deutschen Headquarters in unmittelbarer Nachbarschaft zum Flughafen. Auch die kostbare Computer– Hardware wird von hier per Luftfracht über Europa verteilt. Es überrascht nicht, daß die Konzerne immer näher an den Flughafen heranzurücken versuchen, um so kostbare Manager– Arbeitszeit einzusparen. Dieser Entwicklung versucht der Bau des FAG–eigenen Frankfurter–Airport–Center (FAC) Rechnung zu tragen, das in unmittelbarer Nach barschaft zu den Abfertigungshallen exquisite 47.000 qm Bürofläche für „Firmen mit internationalen Beziehungen“ anbietet und das derzeit bezogen wird. Die saftigen Zuwachsraten im Flugverkehr bringen die Verkehrspolitiker in Frankfurt jedoch auch in argumentative Bedrängnis. Denn noch behauptet die FAG steif und fest, daß die Start– und Landekapazität des Flughafens auch in den kommenden Jahren noch ausreichen wird. Die Staus von Fracht und Fluggästen, die oft zu stundenlangen Wartezeiten führen, versucht die Gesellschaft durch den weiteren Ausbau der Abfertigung zu bewältigen. Die Fluglotsen hingegen sehen die Flugbewegungen von den Bahnen her begrenzt. „Die West– Startbahn wird ausgereizt bis zum letzten“, meinte ein Sprecher der Fluglotsen. Die Differenz zwischen „Bergen“ und „Tälern“ in der Auslastung, die FAG–Sprecher Schwalm noch als Ausweichmöglichkeit für den zunehmenden Verkehr heranziehen möchte, sieht die Bundesanstalt für Flugsicherung längst nicht mehr. Ein Ausgleich zwischen diesen verkehrsreichen und verkehrsärmeren Zeiten sei nur bedingt möglich, weil Anschlußmöglichkeiten zwischen internationalen und Inlandflügen erhalten bleiben müssen, gibt auch FAG–Sprecher Schwalm zu. Er meint, bei den Fluglotsen sei noch mehr an Kapazität herauszuholen, etwa durch bessere Instrumente. So wird im Süden des Geländes gegenwärtig auch ein neuer Tower errichtet. Schwalm hofft, daß durch die technischen Verbesserungen in der Flugabfertigung eine Anhebung des Spitzenstundeneckwertes von 64 Flugbewegungen pro Stunde möglich ist. Die Bundesanstalt für Flugsicherung hat allerdings schon signalisiert, daß sie über 70 Starts und Landungen nicht hinausgehen will. Nach Ausweichmöglichkeiten für den steigenden Passagier– Durchsatz wird gesucht. Nach Informationen der Frankfurter Rundschau überlegt die FAG, dem Flughafen in Egelsbach einen Teil der Inlandsflüge zu übertragen und sich auf dem Rhein–Main– Flughafen auf Großraumflugzeuge zu spezialisieren. Das würde die Einrichtung eines Pendelverkehrs zwischen den beiden Flughäfen bedeuten. Die Lufthansa könnte einen größeren Teil des Inlandverkehrs an die Schiene abgeben, dies wäre eine andere Variante. Aber auch das würde weitere Baumaßnahmen bedeuten. Denn der Tiefbahnhof am Flughafen ist vollständig ausgelastet. Der Ausbau der Schienenverbindung um eine weitere Trasse wird erwogen. Bei der Einweihung der Startbahn West haben die Vertreter der Bürgerinitiativen versucht, die Niederlage mit dem Hinweis auf das sensibilisierte Bewußtsein zu relativieren. Der Kampf um die Startbahn West sei zwar verloren, aber eines sei gewiß: Eine Startbahn Ost werde es nicht geben. Dieser Anspruch der ehemaligen Aktivisten wird noch auf die Probe gestellt werden: Auch wenn von einer weiteren Start– und Landebahn im Augenblick niemand sprechen möchte - die Geschäftszahlen belegen: Es wird weitergebaut, an welcher Ecke auch immer.