„Marielitos“ - rechtlos zwischen den Knästen

■ Die Gefängnisrevolten in Oakland und Atlanta gehen weiter / Tausende Kubaner wurden Opfer der US–Einwanderungsbestimmungen: Jeder Gesetzesbruch zieht Ausweisung oder zeitlich unbegrenzte Inhaftierung nach sich / Kuba kündigt Amnestie an

Aus Washington Stefan Schaaf

Die gewaltsame Revolte in zwei US–amerikanischen Haftanstalten mit vor allem exilkubanischen Insassen dauerte auch am Dienstag weiter an. Die am Montag verkündete Entscheidung Justizminister Meeses, mit der geplanten Deportation von mehreren tausend Kubanern abzuwarten und jeden Fall einzeln zu überprüfen, verfehlte die erhoffte Wirkung. Kubanische Häftlinge in Atlanta nahmen in der Nacht zum Mittwoch weitere 25 Geiseln. Laut der Sprecherin der Gefängnisbehörde in Washington, drang eine Gruppe der Inhaftierten gegen Mitternacht in das Anstaltskrankenhaus ein und nahm 25 kranke Mithäftlinge gefangen. Gleichzeitig habe eine andere Gruppe der Kubaner fünf Geiseln den Behörden übergeben. Der Gefängnisdirektor von Atlanta dementierte am Dienstag Informationen, nach denen bei der Meuterei sechs Menschen ums Leben gekommen sein sollen. Es habe nur einen Toten gegeben, fünf weitere Inhaftierte lägen mit Schußverletzungen im Krankenhaus. Unterdessen hat die kubanische Regierung für alle „Marielitos“ eine Amnestie angekündigt. Die Häftlinge aus Oakdale und Atlanta sind fast ausschließlich im Rahmen der großen Fluchtwelle vom April 1980 über den kubanischen Hafen Mariel in die USA gekommen. Diese etwa 125.000 Immigranten werden deswegen auch kurz als „Marielitos“ bezeichnet. Anders als in den Jahren nach der kubanischen Revolution handelte es sich bei diesen Flüchtlingen nicht um begüterte Mitglieder der Oberschicht; 70 Prozent der Marielitos waren Männer, jeder zweite war schwarzer Hautfarbe, und, so behauptet es jedenfalls die US–Einwanderungsbehörde, jeder sechste war zuvor straffällig geworden. Für einige tausend der Flüchtlinge brachte die Auswanderung nicht die Freiheit, sondern abermals Knast - diesmal einen US–amerikanischen. Zwar wird er nicht so genannt, sondern „Haftzentrum für Ausländer“, aber an den Gittern änderte dies nichts. Diesen Häftlingen wurde eine Bestimmung in den US–Einwanderungsgesetzen zum Verhängnis, die jeden Gesetzesbruch der kubanischen Flüchtlinge mit der Ausweisung bzw., - da Kuba sich bisher weigerte, sie aufzunehmen, - mit zeitlich unbe grenzter Inhaftierung ahndet. Bürgerrechtsorganisationen in den USA protestieren bereits seit mehrern Jahren gegen diese Regelung, die eine ganze Menschengruppe elementarster Grundrechte beraubt. Selbst wer nur des Marihuana–Besitzes wegen ver urteilt wurde, wanderte nach der Strafverbüßung nach Oakdale oder Atlanta. In einer ähnlich rechtlosen Situation befinden sich illegale Einwanderer, wenn sie bereits vor der Küste von der US–Einwanderungsbehörde aufgegriffen wer den. Sie werden als „ausweisbare Fremde“ behandelt, denen jeglicher gesetzlicher Schutz verweigert wird. Einige hundert „Marielitos“, die von der US–Regierung als „Geisteskranke oder Schwerverbrecher“ eingestuft wurden, sitzen deshalb bereits seit ihrer Ankunft hinter Gittern. Immer wieder versuchte die Reagan–Administration, die kubanische Regierung zur Zurücknahme dieser Menschen zu bewegen, die das Pech hatten, zwischen den Knastsystemen zweier Länder gefangen zu sein. Ein katholischer Priester, der bis vor kurzem in Oakdale inhaftiert war, berichtet, daß die Kubaner dort zuletzt immer verzweifelter gewesen seien und es wiederholt zu Selbstmordversuchen gekommen sei. Die plötzliche Übereinkunft mit Kuba habe, so der Priester, wohl das Faß zum Überlaufen gebracht. Oakdale sei inzwischen durch die seit drei Tagen unkontrolliert brennenden Feuer so zerstört, meldete die Fernsehgesellschaft CBS am Montag abend, daß dort auf absehbare Zeit niemand mehr inhaftiert werden könne.