Worte und Taten

■ Zur Beschlagnahme von Vervielfältigern in Ost–Berlin

Wir haben den Auftrag, das Maul aufzutun, die Tasten zu schlagen, Denken anzuzetteln und dem Leben das Wort zu reden.“ Mit dieser Aufforderung endete am Dienstag nachmittag die Eröffnungsrede zur DDR–Schriftstellerverbandstagung durch deren Präsidenten, Hermann Kant, der auch Mitglied des ZK der SED ist. Ungeteilten Beifall auch vom anwesenden Oberguru Honecker erhielt Kant für diese Worte. Wenige Stunden später folgten ihnen Taten: Gleich 20 Herren der Staatssicherheit durchsuchten gegen Mitternacht die Umweltbibliothek der Zionsgemeinde in Ost–Berlin und beschlagnahmten Wachsmatritzenvervielfältiger, nahmen mehrere kirchliche Mitarbeiter fest. Ist der Vorgang bewußter Zynismus, das Schauspiel, bei dem Worte und Taten in bekanntem, extremem Widerspruch zueinander stehen, oder weiß die DDR–Führung nicht, was Teile ihres Apparats - in dem Fall die Staatssicherheit - gerade treibt, oder sind es die widerstreitenden politischen Kräfte, die sich in den Worten Kants und den Taten der Stasi ausdrücken? Altbekanntes also. Es ist zu früh, um diese Fragen definitiv zu beantworten. Immerhin wurde die Umweltbibliothek nicht aufgelöst. Ganz abgesehen davon kann ich gewisses Unverständnis nicht ablegen, das aufkommt, wenn ich mir in unserer westlichen Rank–Xerox–Welt des unbegrenzten Kopierens vorstelle, wie gefährlich das vervielfältigte Wort - und sei es nur auf Wachsmatritze - in der DDR ist. Wer die Umweltblätter dort kennt, der fragt sich allerdings auch, welchen Mythos die Staatssicherheit aus der Gefährlichkeit der vervielfältigten Worte und Gedanken erst macht. Max Thomas Mehr