AIDS: Internierung in Frankfurt?

■ Oberbürgermeister Brück: „Grenzen für freiwillige Lösungen erreicht“ / Bereits ein Gelände im Taunus für das AIDS–Haus? / Zwölf Prostituierte sollen dort „unter Bewachung“ gehalten werden / Die Stadt schließt Methadon–Programme nicht grundsätzlich aus

Aus Frankfurt Reinhard Mohr

Durch eine Indiskretion in der Umgebung des Frankfurter Oberbürgermeisters Wolfram Brück (CDU) ist bekannt geworden, daß die Stadt plant, zwölf mit AIDS infizierte Prostituierte „zwangsweise in eine Einrichtung zu verbringen“. Der persönliche Referent des Oberbürgermeisters, Stefan Lauer, sagte gegenüber der taz, man habe „das Thema aufgegriffen, weil die Bemühungen um eine freiwillige Lösung des Problems an ihre Grenzen gestoßen“ seien. Trotz eines gegenüber den zehn weiblichen Prostituierten und zwei „Strichjungen“ ausgesprochenen Berufsverbots und des Angebots einer „Umschulung zur Sekretärin“ gingen sie weiterhin ihrer Beschäftigung nach, die für andere eine Lebensgefährdung bedeute. Deshalb, so Lauer zur taz, werde es so lange eine „Bewachung der Einrichtung“ geben müssen, wie unsicher sei, ob sie nicht doch wieder in die „Szene“ zurückkehrten. Dies habe jedoch nichts mit einer gefängnisähnlichen Verwahrung zu tun. Man habe sich bei der Abwägung zwischen dem Risiko des „Untertauchens“ ebenfalls AIDS–infizierter Personen und dem „schützenswerten Gut menschlichen Lebens“ letztlich für die „Zwangsmaßnahmen gegenüber denjenigen entschieden, die für uns nicht mehr erreichbar“ seien. Dennoch heiße das nicht, daß Frankfurt jetzt auf die „Gauweiler–Linie“ eingeschwenkt sei: „Wir wissen sehr wohl, daß hier eine Kumulation besonderer Probleme - Prostitution, Drogensucht, AIDS - vorliegt, für die es keine kurzfristige Lösung gibt.“ Auf die Frage nach der Versorgung der Drogenabhängigen in der geplanten „geschlossenen Einrichtung“ sagte der OB–Referent, dies sei ein Problem auch der Drogenpolitik insgesamt, für das es „nirgends ein Patentrezept“ gebe. Den Einsatz von Methadon wollte er nicht grundsätzlich ausschließen. Es existiere aber eine „Desperado–Mentalität“ von abhängigen Prostituierten, denen „alles egal“ sei. Die beabsichtigte Zwangsinternierung jener zwölf „harten Fälle“, die allesamt drogenabhängig sind, stützt sich auf die „Verordnung zur Verhinderung übertragbarer Krankheiten“ im Bundesseuchengesetz. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar und Interview auf S.4 Die Verordnung liefert auch die rechtliche Voraussetzung etwa für Razzien in Drogenberatungsstellen. Während offiziell noch betont wird, der „Vorschlag des Oberbürgermeisters“ befinde sich noch „in der Diskussion“, berichten die Grünen im Frankfurter Römer von einer bereits in Aussicht genommenen Liegenschaft der Stadt in Köppern (Taunus). In einer ersten Stellungnahme protestieren die Grünen gegen die „angedrohten Zwangsmaßnahmen“ und „bezweifeln, daß die Angebote, die den Prostituierten gemacht wurden, effektive Hilfen für den Ausstieg aus der Prostitution dargestellt haben“: „Sonst hätte man in den zwölf Fällen, um die es hier geht, zu Lösungen kommen müssen. Von wirklicher Hilfe für drogenabhängige HIV– Infizierte kann schon so lange keine Rede sein, wie in Frankfurt keine Methadonprogramme zur Substitution harter Drogen angeboten werden.“ Sie seien die einzige Möglichkeit, Drogenkranke von der Beschaffungsprostitution abzuhalten. Lutz Sikorski, Sprecher der Römer–Grünen, wies darauf hin, daß bislang nicht eine einzige infizierte Prostituierte zum „Ausstieg“ bewegt werden konnte: „Die städtischen Angebote sind unrealistisch und unseriös. Die Bedingung, daß nur drogenfreie AIDS–Infizierte umgeschult werden, geht vollkommen an der Wirklichkeit vorbei.“ Das Ergebnis der jetzt angekündigten Zwangsmaßnahmen werde eine erhöhte Dunkelziffer von HIV– Positiven und eine verstärkte Stigmatisierung jener Gruppen sein, die für die Ausbreitung von AIDS verantwortlich gemacht werden sollten. Schon jetzt gibt es kaum noch Meldungen über neue AIDS– Erkrankungen beim Gesundheitsamt der Stadt. Viele gehen wohl aus Angst nicht mehr zum Test.