Knast für Ost–Berliner Oppositionelle

■ DDR–Staatssekretär rechtfertigt Razzia gegen Zeitungsmacher / Zwei Personen in U–Haft

Aus Ost–Berlin Clara Roth

Die DDR–Behörden haben ihr massives Vorgehen gegen Oppositionelle fortgesetzt: Mindestens 21 VertreterInnen verschiedener unabhängiger Ökologie– und Friedensgruppen wurden am Mittwochabend und in der Nacht zum Donnerstag festgenommen, gestern nachmittag befanden sich noch immer mehrere Personen in Polizeigewahrsam. Wie ADN am späten Nachmittag meldete, wurden zwei Personen in Untersuchungshaft genommen. Sie seien „auf frischer Tat bei der Herstellung staatsfeindlicher Schriften ertappt“ worden. Die von ihnen benutzten Druckmaschinen seien beschlagnahmt worden. Zu den Festgenommenen gehörten Mitglieder der „Initiative Frieden und Menschenrechte“. Darunter befinden sich auch Wolfgang Templin und der in U–Haft sitzende Wolfgang Rüddenklau - beide Ost–Berliner Mitarbeiter der taz. Der für Kirchenfragen zuständige DDR–Staatssekretär Klaus Gysi rechtfertigte gestern vor Journalisten in Genf die Razzia in der Zionsgemeinde. Die Kirche in der DDR habe „keinen exterritorialen Status“. Wenn die DDR– Staatsanwaltschaft solch eine Durchsuchung anordne, dann müsse ein „schwerer Fall“ von vermuteter Gesetzesverletzung vorliegen. Solche Aktionen erfolgten nur, wenn sie „absolut notwendig“ seien. Fortsetzung auf Seite 2 Tagesthema Seite 3 Kommentar Seite 4 Laut ADN soll aus allen Beweismaterialien hervorgehen, daß die Festgenommenen „hinter dem Rücken der zuständigen kirchlichen Stellen“ handelten. Die DDR–Kirche reagierte bisher zurückhaltend: Der Ost–Berliner Superintendent Krusche ging bereits auf vorsichtige Distanz zu den unabhängigen Gruppen und sagte, die Kirche sei dann machtlos, wenn „Straftaten begangen“ worden seien. Die meisten Festgenommenen wurden wie die Mitinitiatorin des diesjährigen „Kirchentags von unten“, Vera Wollenberger, am Nachmittag auf freien Fuß gesetzt. Bei den Verhören soll sich die Staatssicherheit auf Fragen über die „Initiative Frieden und Menschenrechte“, sowie deren Zeitschrift „Grenzfall“ konzentriert haben. Der „Grenzfall“ sollte in seiner nächsten Ausgabe den offenen Brief des DDR– Künstlerehepaares Krawczyk und Klier enthalten. Sie hatten in ihrem Schreiben an den DDR–Chefideologen Hager das Umsetzen Gorbatschows Kurs des „neuen Denkens“ in der DDR gefordert. Vom „neuen Denken“ sind die DDR–Behörden weiter entfernt denn je: Die Aktionen der Staatsorgane richteten sich gegen nahezu alle wichtigen Umwelt– und Friedensgruppen in Ost–Berlin. Der Ost–Berliner Schriftsteller Lutz Rathenow und die Malerin Bärbel Bohley standen gestern unter Hausarrest. Begonnen hatte der staatliche Rundumschlag gegen die Ost– Berliner Oppositionellenszene mit einer Razzia in der Nacht zum Mittwoch in der Umweltbibliothek der evangelischen Zionsgemeinde. Auf der Suche nach Druckmaschinen und Druckerzeugnissen waren die Staatsanwaltschaft und DDR–Staatssicherheit erstmals in der Geschichte der DDR bei der Fahndung nach Regimekritikern auf Kirchengelände vorgedrungen. Mit scharfer Kritik an der DDR haben die Parteien in Bonn reagiert. Bundesarbeitsminister Blüm (CDU) forderte die Freilassung aller Inhaftierten. Die SPD, die im Sommer in ihrem gemeinsamen Papier den „offenen Dialog“ mit der SED zwischen SPD und SPD vereinbart hatte, versprach, das Vorgefallene beim nächsten Treffen zur Sprache zu bringen. Den beiden grünen Bundestagsabgeordneten Hensel und Sullin wurde von den DDR–Behörden gestern die Einreise verweigert.