Einschnitt

■ Zum Referendum in Polen

Die polnische Opposition hat eine ganze Reihe von Gründen genannt, weshalb sie dem Referendum mit Skepsis gegenübersteht. Und tatsächlich wiegen Argumente schwer, die auf die Halbherzigkeit der angepeilten und jetzt vom Volk zu legitimierenden Wirtschaftsreform verweisen. Werden nicht alle Lasten der Reform wie zum Beispiel die Preissteigerungen auf große Teile der Bevölkerung abgewälzt, die ohnehin schon an dem Rande des Existenzminimums leben? Und weigert sich das Regime nicht, den notwendigen politischen Preis zu bezahlen, der nur in einer weitergehenden Demokratisierung des öffentlichen Lebens unter Zulassung von freien Gewerkschaften (Solidarnosc) und Parteiorganisationen bestehen kann? Das Angebot der Regierung, die Entscheidungen in Staat und Wirtschaft zu dezentralisieren, ist be auch eine Tatsache, daß zum ersten Mal in einem Land des realen Sozialismus das Volk über eine wichtige Reform befragt wird. Die ablehnende Haltung der polnischen Opposition ist gerechtfertigt, solange sie noch unter Repressionen zu leiden hat und keine echte Chance erhält, offen und uneingeschränkt für ihre Ziele in der Gesellschaft zu werben. Doch die Ablehnung des Regierungsprojekts birgt auch die Gefahr, die Dynamik der zukünftigen Entwicklung zu unterschätzen. Indem die Regierung die Entscheidungen in Staat und Wirtschaft dezentralisiert, wächst der Opposition automatisch eine neue Rolle zu. Die auszufüllen und ständig neu zu definieren, könnte wichtiger sein, als auf der offiziellen Anerkennung alter Symbole zu beharren. Erich Rathfelder