Späte Chance

■ Zum Skandal der „Colonia Dignidad“ in Chile

Seit über zwölf Jahren weiß man in Bonn, was sich hinter den Stacheldrahtzäunen der deutschen Colonia Dignidad im Süden Chiles abspielt. Nach einer „eingehenden Untersuchung“ werde die Bundesregierung „so bald wie möglich berichten“, versprach im März 1977 Klaus von Dohnanyi, weiland Staatsminister im Auswärtigen Amt, dem schon damals Genscher vorsaß. Daß ein Bonner Gericht seit zwei Jahren gegen Mitglieder der Siedlung wegen Freiheitsberaubung ermittelt, kann nicht über die Untätigkeit bundesdeutscher Regierungen hinwegtäuschen. Es gab keinerlei politische Pressionen, vermutlich nicht einmal die übliche stille Diplomatie. Wenn nun eine deutsche Kommission in offizieller Mission vor Ort nachschauen soll, ist dies also durchaus zu begrüßen. Insofern ist auch der politische Beigeschmack, der dem neuen Bonner Engagement anhaftet, zweitrangiger Natur. Natürlich kann man die Frage nach der Colonia Dignidad heute, wo Blüm und Geißler die Verletzung von Menschenrechten in Chile beklagen, ganz anders aufs Tapet bringen als 1975, als der Skandal zum erstenmal publik wurde. Immerhin hatte damals der sozialdemokratische Forschungsminister Matthöfer mit seiner Bemerkung, in Santiago sei eine Mörderbande an der Regierung, in den Reihen der sozialliberalen Koalition noch einen Schrei der Entrüstung ausgelöst, von der Reaktion der C–Parteien ganz zu schweigen. Hatte sich damals die sozialliberale Koalition mit Pinochet arrangiert, so stellt sich nun die heutige Regierung auf seinen Abgang ein. Genau darin liegt die Chance für diejenigen, die in der Colonia Dignidad eingesperrt und mißhandelt werden. Thomas Schmid