Bundeswehrflüge mit scharfer Munition

■ Erstmals wurde in Rheinland–Pfalz offiziell bestätigt, daß Bundeswehr und Alliierte Streitkräfte Genehmigungen für Übungsflüge mit scharfer Munition an Bord der Bomber und Jäger erhalten / Grüne: „Unnötige enorme Gefärdung der Bevölkerung“ / Verbot gefordert

Aus Mainz Felix Kurz

Eine kleine Anfrage des rheinland–pfälzischen Grünen Landtagsabgeordneten Gernot Rotter brachte es an den Tag: Über den Köpfen der bundesdeutschen Bevölkerung fliegen Bundeswehr und Alliierte Streitkräfte mit ihren Bombern und Jägern auch mit scharfer Munition. Zum ersten Mal wurde jetzt von offizieller Seite eingeräumt, daß bei Übungsflügen im Gegensatz zu den sogenannten immer mit Einsatzmunition bestückten Patrouillenflügen ebenfalls scharfe Munition mitfliegt. Das Mainzer Innenministerium teilte dem Grünen MdL Rotter mit: „Grundsätzlich“ würde bei Übungsflügen nach Auskunft des Verteidigungsministeriums „keine Einsatzmunition (scharfe Munition) mitgeführt“. Aber „dies gilt nicht für besonders genehmigte Ausnahmefälle, die unter verschärften Sicherheitsauflagen durchgeführt werden“. Wie oft und wo nun genau derartige Manöver von den Militärs durchgeführt werden, teilte das Innenministerium nicht mit. Bislang war immer wieder behauptet worden, bei Übungsflügen werde keine scharfe Munition mitgeführt. Zwar hatten die Grünen und die Friedensbewegung oftmals das Gegenteil vermutet, aber eine Bestätigung ihrer Befürchtungen erhielten sie erst jetzt. Im März 86 krachte in Schönberg bei Pfaffenhofen an der Ilm ein Bundeswehr–Tornado in den Acker und bohrte sich dort mindestens acht Meter tief ein. Die im rheinland–pfälzischen Büchel stationierte Todesmaschine steckt auch heute noch im Grundstück des 40jährigen Bauern Johann Gürtner. Er und der Bayrische Bauernverband forderten zwar, daß der Unglückstornado von den Militärs geborgen werde, aber nichts rührte sich. Auch die mittlerweile zum großen Teil in das Erdreich eingedrungenen 3900 Liter Kerosin, die aus der Absturzstelle gleich noch eine Sondermülldeponie machten, gaben bis vor kurzem offenbar niemanden Anlaß zum Handeln. Inzwischen allerdings hat eine Spezialfirma eine eiserne Spundwand acht Meter tief rund um die Militärmaschine in den Acker eingelassen. Das verseuchte Grundwasser wird derzeit abgepumpt, und auf Antrag des Wasserwirtschaftsamtes Ingolstadt wurde tonnenweise vergiftetes Erdreich abgetragen. Mit einem Kostenaufwand von über 1,2 Millionen DM soll nun doch endlich der Tornado mit einem Sonderkommando ausgegraben werden. Die Frage, warum man den 80 Millionen DM teuren Tornado nicht barg, ließ auch Spekulationen über die Bewaffnung an Bord aufkommen. Nach der jetzt offiziell zugegebenen Tatsache, daß auch bei Übungsflügen scharfe Munition mitgeführt werden kann, wird vermutet, daß auch dieser abgestürzte Tornado damit bestückt ist. Allein in Rheinland–Pfalz stürzten in den vergangenen sieben Jahren 20 „Strahlflugzeuge“ ab. Für 17 Abstürze sei menschliches Versagen die Ursache gewesen, teilte des Bundesverteidigungsministerium mit. Mal war es die „räumliche Desorientierung“ der Piloten, mal eine „Fehleinschätzung“, mal der „Verlust der Flugzeugkontrolle“. Ob allerdings diese 20 Maschinen auch mit scharfer Munition bewaffnet waren, gab das Ministerium nicht bekannt. Mit seinen 20 abgestürzten „Strahlflugzeugen“ liegt Rheinland–Pfalz allerdings noch nicht an der Spitze. Doch welches Bundesland bei der Absturzrate Spitzenreiter ist, wird nach wie vor geheimgehalten. Der Grüne Abgeordnete Gernot Rotter will jetzt wissen, in welchen Fällen eine „Ausnahmegenehmigung“ für Einsatzmunition auf welcher Rechtsgrundlage erteilt wird, wer die Sicherheitsbestimmungen überprüft und vor allem, wie die Rettungsdienste vorher informiert werden. Die rheinland–pfälzischen Grünen sehen in der „unglaublichen Tatsache“ eine „zusätzliche, unnötige, enorme Gefährdung der zivilen Bevölkerung“ und fordern die sofortige Einstellung der Übungsflüge mit scharfer Munition. Das rheinland–pfälzische Innenministerium gab in seiner Antwort schon einmal seine Sicherheitsphilosophie zum Besten. „Absolute Sicherheit vor Unglücksfällen kann niemals und in keinem Lebensbereich erreicht werden.“ Der für den militärischen Luftverkehr ausschließlich zuständige Minister der Verteidigung versuche ständig, „durch Maßnahmen technischer, personeller und organisatorischer Art das restliche Risiko, daß nicht ausgeschlossen werden kann, nach dem jeweiligen Stand der Erkenntnisse zu minimieren“.