Krupp–Stahlwerker: Bei Appellen bleibts nicht

■ Stillegung des Krupp–Hüttenwerks in Duisburg–Rheinhausen mobilisiert den ganzen Stadtteil zur Gegenwehr - vom Punker bis zum Rentner / Aktionswoche des Bürgerkomitees hat begonnen / Stahlwerker stellen die Produktion ein

Von Corinna Kawaters

Duisburg (taz) - Montag abend in Duisburg–Rheinhausen. Die Dezemberluft ist neblig–kalt, smogverdächtig. Rund 500 Bürger nehmen an der Versammlung in der „Menage“ teil, einer der ältesten Werkskantinen der Krupp– Stahlhütte. Auch hier herrscht dicke Luft, seit bekannt wurde, daß die Krupp Stahl AG, bei der derzeit 5.300 Menschen arbeiten, das Hüttenwerk am Rhein dichtmacht. Die Produktion und Teile der Belegschaft sollen in anderen Duisburger Stahlwerken untergebracht werden, bei Mannesmann und Thyssen. „Dem Stahlstandort Duisburg geht damit kein Gramm Stahl verloren“, hatte der Krupp–Stahl Chef Dr. Gerhard Cromme dazu gesagt. Unerwähnt ließ er allerdings, welche Bedeutung dieser Schritt für die ganze Region links des Niederrheins hat. Die Stahlarbeiter in der Werkskantine, ihre Frauen, Rheinhausener Bürger vom Punk bis zum Rentner sind an diesem Montag abend zusammengekommen, um ein Aktionsprogramm gegen die Schließung zu organisieren. Am Vormittag, bei der Belegschaftsversammlung, an der 10.000 Leute teilnahmen, waren schon Eier auf Dr. Gerhard Cromme geflogen, so daß die Offiziellen von Krupp und CDU am Nachmittag nur noch im Schutze einer Glasscheibe auftreten mochten. Bis zum Abend haben sich die Leute immer noch nicht beruhigt, so daß es der evangelische Pfarrer Kelp schwer hat, sein vorgesehenes Programm durchzuziehen. Von Kinderspielen während der laufenden Aktionswoche bis hin zu Schlafsäcken für die Mahnwache vor dem Krupp–Tor 1 muß noch einiges organisiert werden. Doch Pfarrer Kelp kann letztlich auf solide Strukturen zurückgreifen, denn immerhin besteht das Bürgerkomitee seit 1982, als die letzte Auseinandersetzung um die Stillegung der Walzstraße in Rheinhausen stattfand. „Machen wir die Bude dicht“, schlägt ein Mann aus dem Publikum vor. „Laßt uns ein paar Brammen auf die Straße schmeißen“, fordert ein anderer. „Brammen“ sind das Rheinhausener Stahlprodukt, große Stahlklötze, die im Bochumer Krupp–Werk zu Blechen gewalzt werden. Härtere Aktionen wollen die Rheinhausener und „nicht die gleichen Fehler machen wie in Hattingen, wo sie nur demonstrieren.“ Anders als die Hattinger haben die Rheinhausener Stahlarbeiter die Produktion eingestellt. „Was sollen wir machen, die arbeiten einfach nicht“, sagt Werner Hahn, der IG–Metall–Sekretär. Mit großem Beifall quittiert die Versammlung die Meldung, daß im Bochumer Krupp–Werk in dieser Nacht ebenfalls nicht so recht gearbeitet werden kann, weil das Vormaterial aus Rheinhausen fehlt. „Dat is nich der erste Kampf, den wir führen“, sagt einer der Männer. In der von Alfred Krupp vor 90 Jahren gegründeten Stahlhütte, die bald zu Europas größter Anlage zur Stahlerzeugung wurde, hat es schon so manche Auseinandersetzung gegeben. Der letzte Anlaß war auch eine „Weihnachtsüberraschung“ der Krupp Stahl AG. Im Dezember 82 wurde bekannt, daß die Walzwerksanlagen stillgelegt und damit 2.500 Arbeitsplätze gestrichen würden. Damals hatten sich in der Endphase des Konfliktes 2.500 Demonstranten in Arbeitszeug zur Villa Hügel, dem ehemaligen Krupp–Familiensitz in Essen, begeben, um an die Verantwortung der Firmenleitung zu appellieren. Trotzdem war das Walzwerk geschlossen worden, und die Mittelstahlstraße, in der das Vormaterial für das Walzwerk hergestellt wurde, war sofort an ein chinesisches Unternehmen in Shanghai verkauft worden. 1986 erschienen dann 102 Chinesen der Iron and Steel Works Nr.8 aus Shanghai, bauten sämtliche Maschinen ab und sie nahmen sie mit in ihre fernöstliche Heimat. Bei Appellen wollen es die zornigen Stahlarbeiter diesmal nicht belassen. Die FAU, die anarchistische Freie Arbeiter–Union, fordert auf Plakaten „Streik“ und steht damit wahrlich nicht allein. Eine schwierige Situation für die IG–Metall, deren Sprecher Peter Gasse zwar an die Friedenspflicht der Gewerkschaften erinnert, aber nicht umhinkommt, auch das Schicksal seiner arbeitslosen Nachbarn zu erwähnen. Er wohnt in Duisburg–Wanheim, gegenüber von Rheinhausen auf der anderen Rheinseite. In seiner Siedlung, in Betriebswohnungen einer Bergbauzulieferfirma, die „dichtgemacht hat“, sind alle Nachbarn arbeitslos. „Was meint ihr, was das für ein Gefühl ist, nach 30 Jahren Arbeit mit 1.100 Mark dazustehen, mit Frau und zwei Kindern“, ruft er in den Saal und erinnert auch daran, daß in Duisburg in den letzten 20 Jahren 69.000 Arbeitsplätze weggefallen sind, mehr als der ganze Stadtteil Rheinhausen an Einwohnern hat. „Wir müssen die Mannesmänner mitbringen und die Thyssianer und die Leute von den Häfen, damit wir uns nicht auseinanderdividieren lassen“, so beschließt das Bürgerkomitee am Montag abend. Zwar ist es nicht der erste Kampf, den sie führen, aber möglicherweise, das wissen die Versammelten, wird es „der letzte“.