§130a - die „lex taz“ in Aktion

■ Premiere für den Paragraphen gegen die „Anleitung“ zu Straftaten / Angeklagt: die taz

Die Bonner Koalition hatte schon vorab erklärt, was sie mit dem neuen Paragraphen wollte: nicht konkrete Straftaten verfolgen, sondern deren publizistisches Umfeld austrocknen. Zusammen mit dem Paket der „Sicherheitsgesetze“ trat am 1. Januar dieses Jahres, von der Öffentlichkeit wenig beachtet, der neue Paragraph 130a in Kraft. Drei Tage später schon hielt die Staatsanwaltschaft ihre erste Beute in den Händen: einen Bekennerbrief, den die taz abgedruckt hatte. Morgen steht deswegen Thomas Hartman, der damalige presserechtlich verantwortliche Redakteur der taz, als Angeklagter vor dem Berliner Amtsgericht.

Ganze drei Tage waren die umstrittenen neuen „Sicherheitsgesetze“ der Regierungskoalition in Kraft, da forderten einige Zeitungen schon Vollzug. „Hinter Schloß und Riegel“ gehörten „die Täter und ihre Helfershelfer am Schreibtisch“, urteilte Axel Springers Berliner Morgenpost am 3. Januar 1987, und ein klarer Fall von „abermaliger Verbrechensanleitung“ befand die FAZ am selben Tag auf ihrer Titelseite. Man dürfe nun gespannt sein, leitartikelten beide Blätter fast wortgleich, ob die Strafverfolgungsbehörden die neuen Sicherheitsgesetze nun auch anwenden würden. Was die beiden Zeitungen da unverhohlen forderten, war eine Justizaktion gegen Berufskollegen. Denn die Schreibtischtäter, die sie endlich einer „vernünftigen Tätigkeit hinter Schloß und Riegel“ zuführen wollten, waren die MacherInnen der taz. Der Ruf der beiden Blätter blieb nicht ungehört. Noch am selben Tag leitete die Staatsanwaltschaft beim Berliner Landgericht ein Ermittlungsverfahren gegen die taz nach dem neugeschaffenen Paragraphen 130a ein, und am morgigen Donnerstag steht ihr damaliger presserechtlich Verantwortlicher, Thomas Hartmann, deswegen vor Gericht. Schneller als befürchtet er leben mit diesem Pilotverfahren die neuen „Sicherheitsgesetze“ ihre juristische Premiere. Anlaß für dieses Strafverfahren sind zwei Bekennerbriefe, die die taz am 2. Januar 1987, einen Tag nach dem Inkrafttreten des neuen Paragraphen 130a, in Auszügen dokumentiert hatte. Unter der Überschrift „Wir haben Fehler gemacht“ hatte sich dort eine Gruppe „Revolutionäre für ein feuriges Fest“ zu mehreren Brandanschlägen auf Hamburger Kaufhäuser und Banken bekannt, die kurz vor Weihnachten für hektische Aufregung gesorgt hatten. Was bemerkenswert war: Die Urheber dieser Anschläge hatten in ihren Bekennerschreiben deutliche Selbstkritik daran geübt, daß bei ihrer Aktion Menschenleben hätten gefährdet werden können. Warum, das beschrieben sie detailliert: was an der chemischen Zusammensetzung der Brandsätze falsch gewesen war und welche technischen Vorrichtungen nicht richtig funktioniert hatten. Wenige Tage nach Veröffentlichung dieser Dokumentation hatte Thomas Hartmann in einem offenen Brief an die FAZ ausführlich begründet, warum die taz die Publizierung solcher Bekennerbriefe für wichtig hält. „Wir verstehen eine solche Berichterstat tung auch weiterhin als eine Aufgabe eines Journalismus, der - im Rahmen der Pressefreiheit - über das Zeitgeschehen informiert, ohne seine Leser zu bevormunden oder für unmündig zu erklären“. Von Berichterstattung oder Pressefreiheit wollte jedoch die Berliner Staatsanwaltschaft nichts wissen. Sie sah in der detaillierten Beschreibung der falschkonstruierten Brandsätze den Punkt, wo erstmals der Paragraph 130a in Aktion treten sollte, der eine „Anleitung zu Straftaten“ unter Strafe stellt und dafür Gefängnis bis zu drei Jahren vorsieht. Bestraft wird nach diesem Paragraphen, wer „eine Schrift verbreitet, öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht“, die zu „rechtswidrigen Taten“ anleitet oder „nach ihrem Inhalt bestimmt ist“, die Bereitschaft zu einer solchen Tat zu wecken. Gemeint sind damit nicht etwa trickreiche Tips zur Steuerhinterziehung oder minutiös beschriebene Vergewaltigungen in Porno–Videos, sondern ausschließlich politische Aktionen. Neuauflage eines Gesinnungsparagraphen Zusammen mit der Erweiterung des Paragraphen 129a (Unterstützung einer terroristischen Vereinigung) und dem „Zusammenarbeitsgesetz“, das dem Datenfluß der verschiedenen Sicherheitsorgane helfen soll, die letzten Dämme zu brechen, gehört der 130a zum Paket sogenannter Anti– Terrorgesetze. Die CDU/CSU trotzte es dem Koalitionspartner FDP nach dem Mord an dem Diplomaten von Braunmühl und nach mehreren zu Fall gebrachten Strommasten ab. Der 130a war dabei der am wenigsten beachtete Bestandteil dieses brisanten Gesetzespakets, bei dem es weniger um die Verfolgung konkreter Straftaten geht als um eine Bereinigung des politischen Klimas. In seiner jetzigen Version ist dieser Paragraph eine erweiterte Neuauflage des alten 130a, den die sozialliberale Koalition zur Zeit der Terroristenhatz 1976 eingeführt hatte und fünf Jahre später wieder auf parteiinterne Kritik hin stillschweigend strich, nachdem er nur zu einer einzigen Verurteilung geführt hatte. Deutlicher als beim sozialliberalen Vorgänger kommt es bei dem Paragraphen 130a christlich–liberaler Machart nicht mehr darauf an, ob die beanstandete Veröffentlichung tatsächlich eine anleitende Wirkung gehabt hat. Bestraft werden sollen, so heißt es in der Begründung des Gesetzestextes, „auch solche Fälle (...), bei denen beim Empfänger noch keine latente Bereitschaft (zu Straftaten, d.Red.) besteht“. Entscheidend ist laut Gesetzeswortlaut, daß eine Publikation „ihrem Inhalt nach“ als Anleitung bestimmt sein könnte. Und ob sie das ist, hängt von der mutmaßlichen Gesinnung ihrer Veröffentlicher und ihrer Leser ab. Ein Bekennerbrief im Spiegel z.B. wird für Herrn Augstein wohl straffrei bleiben. Der taz und erst recht einem kleinen Info–Blatt kann er jedoch ein Gerichtsverfahren einbringen. Auf welches politische Spektrum dieser neue Paragraph zielt, wurde im Laufe seiner parlamentarischen Beratung mehr als deut lich. Immer wieder fiel in den Diskussionen der Name „taz“, so daß der damalige Grünen–Abgeordnete Christian Ströbele den Paragraphen 130a schlicht als „lex taz“ bezeichnet. Gegen das politische Umfeld Daß es bei dem neuen Paragraphen gar nicht um die Verhinderung konkreter Straftaten geht, sondern daß ein politisches Umfeld eingeschüchtert und „trockengelegt“ werden soll, zeigt der Begründungstext zum 130a unmißverständlich: „Zweck der neuen Vorschrift ist es“, so steht es dort im O–Ton, „der Gefährdung der Allgemeinheit durch das Entstehen eines psychischen Klimas, in dem schwere, sozialschädliche Gewalttaten gedeihen können, entgegenzuwirken.“ Einige Absätze zuvor heißt es: „Die Serie terroristischer Gewalttaten reißt nicht ab. (...) Trotz beachtlicher Fahndungserfolge der Ermittlungsbehörden haben sich (...) häufig Schwierigkeiten bei der Verhinderung geplanter und der Aufklärung und Verfolgung bereits begangener Gewalttaten gezeigt. Bei einer solch außergewöhnlichen Bedrohung muß gerade ein Rechtsstaat deutlich machen, daß er solche Verbrechen nicht hinnimmt.“ Das Prinzip lautet schlicht: „Wenn wir die Täter nicht kriegen, dann nehmen wir uns jemanden, von dem wir glauben, daß er ihnen politisch nahesteht.“ Mit dankenswerter Klarheit hatte schon der Präsident des bayerischen Landeskriminalamtes, Dr. Trometer, bei einer Anhörung des Rechtsausschusses des Bundestages gesagt, worauf es den Politikern ankam: Es sei zweitrangig, ob der neue Paragraph 130a tatsächlich zu Verurteilungen führe, erklärte Trometer. Wichtig sei, die Verbreitung bestimmter politischer Schriften so weit wie möglich zu erschweren. Auf den Einwurf des Abgeordneten Ströbele, man solle dann doch lieber gleich das Denken rechtswidriger Taten unter Strafe stellen, entfuhr es dem LKA–Präsidenten: „Dem steht nichts entgegen.“ Vera Gaserow Prozeßtermin: Donnerstag, 9 Uhr, Amtsgericht Moabit, Turmstraße, Saal 371, in Berlin