Verschärfte Macht für den Staat

■ Die Innere Sicherheit ist Lieblingskind der Koalition / Gesetzesverschärfungen sollen dem Staat immer mehr Einfluß– und Zensurmöglichkeiten verschaffen / Verschwommener Begriff des „öffentlichen Friedens“

Aus Bonn Oliver Tolmein

Eine erste Analyse der Teile des Artikelgesetzes zur Inneren Sicherheit der Koalition, die bekanntgeworden sind, läßt die Debatte um die Strafbewehrung des Vermummungsverbots als zweitrangig erscheinen. Parallelen drängen sich auf zum letzten Herbst, wo die Konzentration auf die Kronzeugenregelung den Blick auf die Verschärfung des §129a und die Einführung des Zensurparagraphen 130a verstellt hat. Heute sind die Verschärfung des Versammlungsgesetzes und die Erweiterung der Zensurmöglichkeiten durch Einführung eines §130b der eigentliche Kern des Entdemokratisierungsvorhabens. Der §130b, „Befürworten von Straftaten bei Störung des öffentlichen Friedens“, bezieht sich auf den bereits existierenden §126, „Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten“: er umfasst dieselben Straftaten und basiert auf demselben unbestimmten Rechtsbegriff vom „öffentlichen Frieden“. „Gestört ist der öffentliche Frieden“ heißt es in einem Standardkommentar zum Strafrecht (Dreher/Tröndle), „wenn eine allgemeine Beunruhigung der Bevölkerung und zwar mindestens durch eine nicht unbeträchtliche Personenzahl“ eintritt. Bemerkenswert ist, daß dieser §126, nach mehreren erfolglosen Anläufen in den sechziger und Anfang der siebziger Jahre, zuletzt 1976 neugefasst, das heißt, verschärft worden ist. Damals sprach man von einer „lex Baader–Meinhof“. Seitdem werden auch illegale Streiks in öffentlichen Betrieben als Störung des öffentlichen Friedens bewertet. Genauso unbestimmt und damit nahezu beliebig weit auslegbar wie der Begriff des „öffentlichen Friedens“ ist der Begriff der „Befürwortung“. In der Kommentierung des alten §88a, der mit den Stimmen der FDP wieder abgeschafft worden ist, heißt es: „Befürwortet wird eine Tat, wenn sie als begrüßenswert gekennzeichnet oder als et was Notwendiges oder Unvermeidbares hingestellt und bejaht wird. Dabei kommt es weniger auf das einzelne Wort an, als vielmehr auf den Sinn, der sich aus der Schrift ergibt. Dem offenen Eintreten für Gewaltdelikte ...steht ein indirektes, unter Umständen verstecktes Befürworten gleich.“ Als Grundgedanke für den §88a galt, und das ist für den §130b dann mindestens genauso zutreffend: er soll „die Bildung des Nährbodens für verfassungsfeindliche Gewalttaten verhindern“ (Schönke/Schröder). In der Praxis hat sich der §88a, dessen Abschaffung im reformerischen Lager als „Deeskalations– und Normalisierungsmaßnahme“ begriffen wurde, vor allem als Ermittlungsparagraph erwiesen: es wurden gegen 111 Personen Ermittlungsverfahren eingeleitet, aber lediglich sechs Personen tatsächlich verurteilt. Im Rahmen derartiger Ermittlungen haben die Polizeibehörden allerdings Zugriff auf erhebliche Mengen an Informationsmaterial, Schrift wechsel und die entsprechenden Szenestrukturen. Ein Grund für die geringe Anzahl der Verurteilungen war die im Gesetzestext gemachte Voraussetzung, daß es für die Inkriminierung einer Schrift nicht ausreicht, daß sie Gewalttaten befürwortet, sie muß auch „nach den Umständen dazu geeignet sein, die Bereitschaft anderer“, solche Straftaten zu begehen, zu fördern. Der neue §130 b enthält diese Einschränkung nach Informationen der taz nicht, sondern stellt, genauso wie der letztes Jahr verabschiedete §130a, auch sogenannte Umgehungshandlungen unter Strafe. Konkret kann damit auch ein Kommentar oder eine Analyse, die zu dem Schluß kommt, militante Aktionen gegen Großprojekte werde es auch weiterhin geben und sie seien eventuell auch sinnvoll, verboten werden. Beschränkt der §130b in dieser Fassung die Möglichkeiten, in linken Publikationen und in Flugblättern über politische Perspektiven und Mittel zu ihrer Umsetzung zu diskutieren oder gegebenenfalls auch zu einer Demonstration aufzurufen, wird die Verschärfung des Versammlungsgesetzes die Möglichkeit Großaktionen durchzuführen, massiv verschlechtern. Das „Kooperationsgebot“, nach dem Veranstalter verpflichtet sein sollen, mit der Polizei zusammenzuarbeiten, wird die Spannungen gerade in breiteren Bündnissen verschärfen. Die Folgen eines Mitnahmeverbots von Gegenständen und Kleidungsstücken mit deren Hilfe man sich vermummen könnte, kann sich jede/r selbst ausmalen. Und angesichts der sich häufenden Verbote wird auch die Strafbarkeit der Aufforderung zur Teilnahme an einer verbotenen öffentlichen Versammlung ihre verunsichernde und demobilisierende Wirkung haben. Insgesamt zielen die Gesetze darauf, die Bewegung in einen prinzipiell gewaltfreien - wobei das Definitionsmonopol für Gewaltfreiheit beim Staat liegt - und einen Militanz nicht ausschließenden Flügel zu spalten.