: Die durchnumerierte Nation
Berlin (taz) - „Gespenstisch“ nennt der Bremer Informatikprofessor und Datenschutzexperte Wilhelm Steinmüller die bisher bekannt gewordenen Pläne für den Sozialversicherungsausweis. Daß „das in eine Richtung geht, die uns total aus dem Ruder läuft“, meint warnend auch der zuständige Mitarbeiter beim Berliner Datenschutzbeauftragten, Jürgen Garstka. Denn die kleine Plastikkarte, die zur Zeit in Bonn „ausgebrütet“ wird, sieht zwar auf den ersten Blick reichlich dilettantisch und harmlos aus, könnte aber aus datenschutzrechtlicher Sicht zu einem dicken Meilenstein auf dem Weg zur sozialen Überwachung und Kontrolle im Alltag werden. Schon seit Jahren warnen Datenschützer vor den Gefahren, die sich aus dem Umgang mit den bisher wenig beachteten Sozialdaten ergeben. Diese Daten bei Rentenversicherungen, Arbeitsämtern oder Krankenkassen enthalten in der Regel mehr persönliche Informationen über jeden einzelnen Bundesbürger als die Polizeidateien. Und der einfachste Schlüssel zu diesen sensiblen Datenbeständen ist bis heute die Sozialversicherungsnummer, die nun auf dem neuen Plastikausweis stehen soll. Diese Nummer, die auch bisher schon von den Rentenversicherungsträgern an jeden vergeben wird, der ins Arbeitsleben eintritt, ist unverwechselbar. Anders als die Nummer im Personalausweis, die sich nach fünf oder zehn Jahren ändert, haftet diese zwölfstellige Sozialversicherungsnummer ihren Besitzern - und das ist die Mehrheit der erwachsenen Bevölkerung - ein Leben lang an. Keine andere Zahlen– oder Buchstabenfolge ist so unverwechselbar und so lebenslänglich wie diese Nummer. Mit ihr lassen sich riesige Datenbestände bei den Krankenkassen, der Rentenversicherung und der Bundesanstalt für Arbeit erschließen. Datenschützer warnen schon seit langem davor, die Sozialversicherungsnummer zu einem verdeckten Personenkennzeichen zu machen, wie es in den USA längst üblich ist. In Ermangelung eines Personalausweises dient dort die Sozialversicherungsnummer als „der“ Identitätsnachweis bei Banken, Versicherungen oder Krankenhäusern. Um ein solches Kennzeichen zu vermeiden, ist in der Bundesrepublik recht genau geregelt, daß nur bestimmte Sozialversicherungs– und Rentenversicherungsträger dieses lebenslange Zahlenetikett benutzen dürfen. Wenn jetzt diese Nummer auf dem voraussichtlich auch maschinenlesbaren Sozialversicherungsausweis prangen soll, dann wird dieses Kennzeichen bald auch für den Hausgebrauch offen sein. Nach den Plänen der Bundesregierung soll dieser neue Ausweis sogar Arbeitgebern, Arbeitsamtskontrolleuren, Gewerbeaufsichtsamtsmitarbeitern und Finanzamtsinspekteuren vorgezeigt werden müssen. Die hochsensible Nummer gehört jedoch keineswegs in diese Hände, meint Datenschützer Garstka, „dagegen gibt es schwere verfassungsrechtliche Bedenken. Wenn man anfängt, die Daten verschiedener Bereiche mit dieser Nummer zusammenzuführen, könnte die Sozialversicherungsnummer doch wieder zum verbotenen Personenkennzeichen werden. Das ist zwar bisher nicht geplant, aber es wird mit dem geplanten Ausweis erleichtert.“ Datenschützer fürchten noch eine andere Konsequenz dieser neuen Plastikkarte: Sie könnte eine Sogwirkung ausüben und den Anreiz schaffen, sie auch anderweitig im Alltag zu gebrauchen. „Wer will denn Ärzte, Versicherungen oder andere Einrichtungen daran hindern, das Ding ebenfalls zu benutzen“, warnt Garstka. „Das ist zwar jetzt noch verboten, aber Gesetze kann man ändern.“ Schon jetzt hat die Justiz sich in einigen Fällen Amtshilfe von den Sozialversicherungsträgern geholt. Denn dort hat man die aktuellsten Angaben darüber, wo man jemanden tagsüber am zuverlässigsten erreichen kann: auf der Arbeit nämlich, und die Angabe der Arbeitsstätte ist dabei häufig viel zuverlässiger als das Melderegister der Polizei. Informatikexperte Steinmüller sieht noch eine andere Dimension des Ausweises: „Der Staat rüstet damit ein weiteres Stück hoch. Das ist nicht einfach nur eine Plastikkarte, sondern das ist ein Mittel des Staates, die Arbeiterschaft in den Griff zu bekommen. Man erfaßt die Menschen in ihrer Eigenschaft als Arbeitende und versucht sie damit kirre zu machen.“ Steinmüller fühlt sich bei dem Sozialversicherungsausweis sofort an das Arbeitsbuch erinnert, das die Nazis einführten, um Arbeitskräfte zu verteilen und für den Krieg und die Kriegswirtschaft einzusetzen. „Hitler hat das nur nicht mehr richtig geschafft“, meint Steinmüller, „weil er noch keine EDV hatte. Gegen ein solchen Zugriff auf die Arbeiterschaft müßten die Gewerkschaften doch geschlossen aufstehen. Das darf doch so nicht kommen!“ Vera Gaserow
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