: Sozialstaat macht die Schotten dicht
■ Die Regierungskoalition plant einen fälschungssicheren Sozialversicherungsausweis für die gesamte Arbeitnehmerschaft.
Nach dem maschinenlesbaren Personalausweis und dem neuen „fälschungssicheren“ Reisepaß plant die Bundesregierung für 1989 eine fälschungssichere Sozialversicherungskarte, mit der sich dann von der jobbenden Studentin bis zum Polier alle Arbeitnehmer legitimieren müssen. Häufig lebenswichtige Einkommensquellen aus Schwarzarbeit oder „Arbeitsamtsschummelei“ sollen ausgetrocknet werden. Zusätzlich könnte daraus auch ein Schlüssel zu sensiblen Daten aller Beschäftigten werden.
Wer in naher Zukunft morgens schlaftrunken die Wohnungstür hinter sich schließt, um zur Arbeit zu gehen, darf dabei zwar das Butterbrot für die Mittagspause oder den Regenschirm vergessen, nicht aber eine kleine Plastikkarte in Checkkarten–Format, in die Name, Geburtsdatum und die unverwechselbare Sozialversicherungsnummer fälschungssicher eingeschweißt sind. Ab 1989 nämlich, so sehen es die Pläne der Regierungskoalition vor, sollen sich sämtliche abhängig Beschäftigten, die irgendwo Geld verdienen, mittels dieser Plastikkarte als das ausweisen, was man hierzulande so gerne sieht: ordentliche, rechtschaffene, steuerzahlende Arbeitnehmer. Alle, die nicht in unmittelbarer Nähe des Lohnbüros ihrer Firma arbeiten, also etwa Maurer, Elektriker, Putzfrauen, Vertreterinnen oder LKW–Fahrer, müssen diesen „Sozialversicherungsausweis“ genannten Arbeitsausweis ständig bei sich tragen. Schon seit einiger Zeit ist ein solcher Ausweis in der Diskussion, jetzt soll es nach dem Willen von CDU/CSU und FDP konkret werden: Anfang Dezember wird ein entsprechender Referentenentwurf vorgelegt werden, im Frühjahr will man in die Beratung einsteigen, und Anfang 1989 könnte dann der Ausweis an die rund 20 Millionen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik ausgeteilt werden. Ausgenommen von der Ausweispflicht soll nur die Beamtenschaft bleiben. Dafür werden jedoch auch Arbeitslose mit dem Plastikding ausgestattet. Sie müssen den Arbeitsausweis dann allerdings bei ihrem zuständigen Arbeits– oder Sozialamt hinterlegen. Offiziell firmiert dieser Arbeits–Ausweis unter dem Motto „Instrument im Kampf gegen illegale Leiharbeit und Leistungsbetrug“, und das klingt erst einmal auch ganz vernünftig. Zwischen 100 und 500 Millionen Mark, so schätzen Experten, gehen jedes Jahr den Trägern der Sozialversicherung und den Finanzämtern verloren, weil Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich mit Schwarzarbeit um Beiträge zur Arbeitslosen–, Rentenversicherung und Lohnsteuer herumdrücken. Bisher konnte man diesen Bereich mit seinen teilweise kriminellen Methoden so gut wie gar nicht kontrollieren. Mitarbeiter der Arbeits– oder Gewerbeaufsichtsämter konnten nur in wenigen Fällen bei einem begründeten Verdacht Stichproben machen. Jedesmal mußte bei solchen Kontrollen - etwa auf Baustellen oder in Montagebetrieben - auch noch die Polizei zur Personalienfeststellung zuhilfe geholt werden. Das war umständlich und zeitweise sogar völlig sinnlos, denn bisher konnten sich Firmen immer noch damit herausreden, daß das Gesetz ihnen ja eine 14tägige Frist läßt, in der sie ihre Beschäftigten nachträglich bei der Sozialversicherung anmelden können. Und regelmäßig waren die ertappten Schwarzarbeiter dann gerade erst 10 Tage in Lohn und Brot. Das soll mit dem geplanten Ausweis angeblich anders werden. Die bisherige 14tägige Meldefrist bei der Sozialversicherung soll auf Null gesenkt werden, und Mitarbeiter der Arbeits– oder Gewerbeaufsichtsämter sollen Routinekontrollen ohne Polizeihilfe durchführen können. Mit einem „Ihren Ausweis bitte“ und einem Datenabgleich bei der Sozialversicherung könnten die Schwarzarbeitskontrolleure rasch klären, wer seine Beiträge zahlt und wer nicht. Diejenigen, die bei einer solchen Kontrolle ihren Ausweis nicht vorweisen können, sollen ein Bußgeld zahlen müssen. Illegale Leiharbeit bekämpfen zu wollen, ohne den dort Beschäftigten eine Alternative anbieten zu können und ohne die daran verdienenden Firmen zu einer „ordentlichen“ Anstellung zu zwingen, ist an sich schon eine problematische Angelegengeit. Fraglich an dem neuen Ausweis ist aber auch, ob er überhaupt als „Wunderwaffe“ gegen die Schwarzarbeit taugt. Denn auch der perfekteste Ausweis nützt nichts, wenn es niemanden gibt, der ihn kontrolliert. Ganze 400 Mitarbeiter hat die Bundesan stalt für Arbeit zur Zeit im gesamten Bundesgebiet zur Kontrolle illegaler Arbeitsverhältnisse eingesetzt, und an eine weitreichende Personalaufstockung ist in den nächsten Jahren bisher nicht gedacht. Statt dem „Kampf gegen die Schwarzarbeit“ wird der Ausweis daher vorrangig einem anderen Ziel dienen: der Durchforstung der kleinen, aber notwendigen Nischen und Heimlichkeiten des Sozialstaats. Geplant ist nämlich außerdem, daß sämtliche Arbeitslosen ihren Sozialversicherungsausweis bei ihrem Arbeits– oder Sozialamt hinterlegen müssen. Sie bekommen dafür zwar einen Ersatzausweis in die Hand, aber anhand dieses Ausweises sieht jeder Arbeitgeber sofort, daß der Bewerber arbeitslos gemeldet ist. Und nach dem geplanten Gesetz müssen die Unternehmer dessen Einkünfte dann umgehend den zuständigen Ämtern melden. Der für viele lebensnotwendige heimliche Zuverdienst zum Arbeitslosengeld oder zur Sozialhilfe wird so quasi unmöglich gemacht. Fliegt eine solche Schummelei auf, so ist in den Regierungsplänen sogar von einer Streichung der Arbeitslosenunterstützung die Rede. Gegen die Nischen geht es auch bei einer anderen Regelung, die vor allem Frauen und Ausländer betrifft. Ausweispflichtig sollen nämlich nach den Regierungsplänen auch diejenigen werden, die bisher gar nicht sozialversicherungspflichtig waren, weil sie unter der zulässigen Einkommensgrenze von 430 Mark im Monat lagen. Der Ausweis soll verhindern, daß diese „Geringverdiener“ mehrere solcher Stellen gleichzeitig annehmen und durchs Netz der Sozialversicherung und Steuer rutschen, obwohl sie auf diese Weise vielleicht insgesamt 1.000 Mark verdienen. Künftig soll jeder Arbeitgeber auch bei nicht sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten einen solchen Ausweis für seine Beschäftigten anfordern. Beantragen mehrere Arbeitgeber einen solchen Ausweis für ein und dieselbe Person, fliegt der Schwindel bei der zentralen Vergabestelle auf. Die Hausfrau, die keine feste Anstellung findet und morgens als billige Arbeitskraft in einem Altenheim die Teller wäscht und abends die Büroräume einer Computerfirma putzt, wird also in Zukunft nur noch Chancen haben, wenn ihr Arbeitgeber bereit ist, der vormals so billigen Arbeitskraft die teuren Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen. Genau in dieser Kontrolle der Nischen und der Schwächsten auf dem Arbeitsmarkt liegt auch eine der großen Gefahren dieses Ausweises, denn als wirksames Instrument gegen illegale Leiharbeit - da sind sich Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften einig - dürfte er wohl kaum funktionieren. Bei der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände begrüßt man zwar ein solches Ausweisvorhaben grundsätzlich, dennoch setzt man ein großes Fragezeichen dahinter. Ohne ausreichende Kontrolleure könne man die Geschichte mit dem Ausweis „ohnehin abblasen“, meint man bei den Arbeitgeberverbänden. Auf starke Bedenken stößt die geplante Arbeitskarte auch bei den Gewerkschaften. Ein solcher Ausweis für sämtliche Arbeitnehmer sei „völlig unverhältnismäßig“ meint Otto Semler, Leiter der Abteilung Arbeitsmarktpolitik beim DGB. Erst sollten die Behörden einmal Personal für wirksame Kontrollen bereitstellen. „So bleibt der Ausweis nur ein Alibi, er bestraft die Arbeitnehmer und nicht die Firmen, die an der Schwarzarbeit verdienen.“ Vera Gaserow
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