Chicago, Chicago...

■ Die Wahl des Schwarzen Eugene Sawyer zum Nachfolger des verstorbenen Bürgermeisters Washington erregt in den schwarzen Wohngebieten Mißfallen

Aus Washington Stefan Schaaf

Chicagos Bürgermeister gehörten noch nie zu den langweiligen Politikern, und in der Lokalpolitik der Stadt wird traditionell mit harten Bandagen gefochten. So war es kein Wunder, daß die Bürger der Dreimillionen–Stadt die Nachricht vom plötzlichen Herztod Harold Washingtons, des ersten schwarzen Bürgermeisters von Chicago, kaum vernommen hatten, als bereits heftiges Gerangel um seine Nachfolge begann. Dieses fand mit der Wahl des gleichfalls schwarzen Stadtrats Eugene Sawyer in der Nacht zum Mittwoch sein vorläufiges Ende, doch Ruhe wird so schnell nicht wieder in die politischen Zirkel der Stadt einkehren. Sawyer hatte zwar die Unterstützung der Mehrheit des Stadtparlaments, nicht jedoch die der Basis in Chicagos „Southside“, den schwarzen Wohnbezirken der Stadt. Tausende versammelten sich am Dienstagabend vor dem Rathaus, um gegen die geplante Wahl Sawyers zu protestieren. Sie bezeichneten ihn als „Onkel Tom“. Beim Gedenkgottesdienst für Harold Washington am Montag hatten mehrere Redner sich gegen Sawyer gewandt. Stadtrat Bobby Rush etwa, der sagte, wer für Sawyer stimme, spucke damit auf Washingtons Grab. Sawyers Unterstützer im Stadtrat zählten zum großen Teil zur alten Garde der Demokratischen Partei, deren Kontrolle über Chicagos Lokalpolitik Washington in seiner Amtszeit zäh und letztlich erfolgreich bekämpft hatte. Der eiserne Griff des weißen Parteiestablishments geht auf den berühmt–berüchtigten Bürgermeister Richard Daley zurück, der die Stadt über Jahrzehnte nach seinem Willen beherrscht hatte. 1968 hatten Studenten ihn „Mad Daley“ getauft, nachdem er dreitägige Proteste während des Demokratischen Parteikonvents auf brutalste Weise niederschlagen ließ. Washington trat 1983 gegen diese von Daley aufgebaute „Democratic Machine“ an und gewann die Wahl, da die Stimmen der weißen demokratischen Wähler sich auf zwei konkurrierende Kandidaten aufsplitteten. In seiner ersten Amtszeit regierte Washington mit einem Patt im Stadtrat, das seine Effektivität stark beschränkte. Washingtons knappe Wiederwahl im April dieses Jahres beendete die Periode des „Stadtratskriegs“, denn von nun an war ihm eine Mehrheit sicher. Washingtons größtes Verdienst ist, die deutlichen rassischen Trennungslinien in Chicago etwas verwischt zu haben, er vermittelte den Schwarzen der Stadt Selbstbewußtsein, während er dem weißen Establishment demonstrierte, daß die Uhr für Rassendünkel abgelaufen war. Als erster schwarzer Bürgermeister der drittgrößten Stadt der USA wurde Washington zum Symbol für Chicagos schwarze Unterklasse, die ihn als einen der ihren betrachtete. Seine politische Karriere begann vor über zwanzig Jahren: seit 1965 vertrat er Chicago im Staatsparlament von Illinois, 1980 kandidierte er als Unabhängiger gegen den demokratischen Kandidaten für einen Sitz im Kongreß in Washington und gewann.