DDR rechnet mit mehr AIDS–Kranken

■ Erstes deutsch–deutsches AIDS–Forum / Offiziell gibt es in der DDR keine Zwangsmaßnahmen gegen Infizierte / Über eine Mio. Bürger untersucht / Kooperation bei AIDS–Forschung erwünscht

Saarbrücken (taz) - Die DDR steht erst am Anfang einer AIDS– Welle, erwartet aber, daß, wenn auch nicht so heftig wie die westlichen Staaten, noch einige Probleme in diesem Bereich auf sie zukommen werden. Diese Einschätzung äußerten Teilnehmer aus der DDR auf dem ersten deutsch– deutschen AIDS–Forum in Saarbrücken. Vor allem für den Umgang mit ausländischen HIV–infizierten Personen soll nach den Forderungen der DDR möglichst die Weltgesundheitsorganisation WHO eine Konvention erarbeiten. Alle ausländischen BürgerInnen, die in den Nachbarstaat zur medizinischen Behandlung einreisen, müssen sich automatisch auf das HIV–Virus untersuchen lassen. Für Touristen gibt es kei nen Zwangstest. Offiziell gibt es zur Zeit 38 infizierte DDR–Bürger. Von ihnen waren vier an AIDS erkrankt, und zwei sind inzwischen verstorben. Hinzu kommen offiziellen Angaben zufolge rund 40 HIV–inifzierte BürgerInnen. Ungefähr eine Million Menschen sind in der DDR schon HIV– Tests unterzogen worden - freiwillig, so wird versichert. Die namentliche Meldepflicht ist in der DDR ohne große Diskussion eingeführt worden. Sie unterliegt nach Angaben von Professor Niels Sönnichsen, dem Leiter der AIDS–Beratergruppe im DDR– Gesundheitsministerium, der ärztlichen Schweigepflicht. Die DDR setze bei HIV–Infizierten auf Integration, sagte Sönnichsen. Nur dadurch sei bei den Betroffenen auch die Akzeptanz zu erreichen, sich verantwortlich gegenüber anderen zu verhalten. Bei der gegenwärtigen epidemologischen Situation sei ein HIV– Test für alle blanker Unfug, so Sönnichsen. Die noch sehr geringe Zahl infizierter Menschen erklärten die Teilnehmer damit, daß es in der DDR keine Fixer– Szene gebe und eine gewerbliche Prostitution wie in der BRD ebenfalls fehle. Diese Ausführungen Sönnichsens erinnerten jedoch fatal an die frühere Behandlung des Themas AIDS in der DDR. Zunächst hatte man nämlich versucht, die Krankheit totzuschweigen. Vor wenigen Tagen erschien in der DDR die erste offizielle AIDS–Broschüre. Mit ihr und der dringend gewünschten internationalen Kooperation auf dem Gebiet der AIDS–Forschung will man sich für die nächsten Jahre gegen AIDS wappnen. Max Holz