Pathogenese einer Dreckschleuder

■ Buschhaus, ein umweltpolitisches Lehrstück in szenischer Bearbeitung von Ministerpräsident Ernst Albrecht / Von der „Dreckschleuder“ zur „modernsten Entschwefelungsanlage der Welt“ zieht sich ein roter Faden

Von Manfred Kriener

Berlin (taz) - Im Herbst 1983 wurde ein neuer umweltpolitischer Begriff geprägt und dem Wortschatz der deutschen Journaille einverleibt: „Dreckschleu der“. Grund für die sprachliche Neuschöpfung, die zugleich die Sprachlosigkeit angesichts des Ungeheuerlichen ausdrückte, war ein simples Kohlekraftwerk. Die „Dreckschleuder der Nation“, das für 600 Mio. DM erbaute Koh lekraftwerk Buschhaus an der deutsch–deutschen Grenze wurde zu einem innenpolitischen Dauerstreit, der mit einer Bundestags– Sondersitzung und einem Oggersheimer Machtwort im Sommer 1984 seinen dramatischen Höhepunkt fand. Zum ersten Mal hatte ein Kohlekraftwerk für einen Skandal gesorgt und war zum umweltpolitischen Lehrstück geworden. „Buschhaus“, so schrieb 1984 der Landtagsabgeordnete Manuel Kiper (Grüne), „ist das Paradebeispiel für die Politik der hohen Schornsteine und faulen Kompromisse, für eine verluderte Gesetzes– und Genehmigungspraxis, für eine buchstäblich zum Himmel stinkende Umweltpolitik, für den Skandal schlechthin.“ - Buschhaus ist entgegen der Vorschrift ohne Rauchgasentschwefelungsanlage geplant und gebaut worden. - Buschhaus verfeuert nicht, wie im Emissionsschutzgesetz vorgeschrieben, schwefelarme, sondern extrem schwefelhaltige Salzbraunkohle. - Buschhaus erhielt entgegen den Bestimmungen der TA–Luft (250 Meter sollte der Schornstein nicht überschreiten) einen Gift– Auspuff von 300 Metern Höhe. - Buschhaus wurde schon während des Baus als „Altanlage“ definiert. Die Vorschriften der neuen Großfeuerungsanlagenverordnung wurden, speziell auf Buschhaus zugeschnitten und so gefaßt, daß der Kraftwerksneubau zur Altanlage umgewidmet werden konnte mit entsprechenden Schlupflöchern bei den Abgas– Vorschriften. - Buschhaus sollte in der ursprünglichen und von der Regierung Albrecht abgesegneten Planung 21mal mehr Schwefeldioxid in die Luft blasen als erlaubt. - Buschhaus sollte 3.000 Beschäftigten den Arbeitsplatz sichern. Wie das Leben so spielt, verringerte sich die Zahl zunächst auf 2.000, dann auf 1.000, schließlich auf 600. Zuletzt waren es noch 436 Arbeitsplätze. - Buschhaus emittiert Dioxine: In einem Gutachten, das wegen des Phenol–Gehaltes der Braunkohle notwendig wurde, bestätigte das Ingenieur–Büro Jäger&Partner die Dioxin–Gefahr (“muß eine relevante Dioxin–Entwicklung erwartet werden“). Trotz all dieser Risiken und Gesetzes–Verstöße stimmte der Bundestag in einer Sondersitzung im Sommer 1984 der Inbetriebnahme zu und spendierte Albrecht 312 Mio. DM für den nachträglichen Einbau einer Entschwefelungsanlage. Groß gefeierte Bedingung: ein Stufenplan zum Abbau des Giftausstoßes garantiere, daß die Emission an Schwefeldioxid 35.000 Tonnen im Jahr ab Juli 1987 nicht überschreitet. Auch das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hob das Verbot der Inbetriebnahme unter dieser ausdrücklichen Bedingung auf. Im Juni dieses Jahres nahm Albrecht dann im Rahmen einer großen Feier die „modernste Rauchgasentschwefelungsanlage der Welt“ (O–Ton) in Betrieb und ließ sich als Umweltschützer feiern. Schon damals waren die Schwierigkeiten der Entschwefelungsanlage bekannt. Sie hat bis heute im Vollast– Betrieb kein einziges Mal funktioniert.