Geschlossene Gesellschaft

■ Öffentliche Verfügung gegen BBC–Serie / Die Regierung Thatcher verwehrt den Briten jeglichen Einblick in das Treiben von Geheimdiensten und Gerichten / Doppelte Zensur durch den britischen Kronanwalt

Aus London Rolf Paasch

Wenn einer im britischen Geheimdienst war, dann kann er was erzählen. Seit Freitag darf ihm in Großbritannien jedoch keiner mehr zuhören. Der britische Kronanwalt hat am Donnerstag abend eine einstweilige Verfügung gegen eine dreiteilige Radioserie der öffentlich–rechtlichen Radio– und Fernsehanstalt BBC mit dem Titel „My Country, Right or Wrong“ (Mein Land, im Recht oder Unrecht) erwirkt. Damit ist der BBC die Ausstrahlung jeglicher Programme über die britischen Geheimdienste verboten, an denen frühere oder gegenwärtige Mitarbeiter des MI5 oder MI6 teilnehmen. Alarmiert durch eine Meldung des Daily Telegraph, daß Spione bei Radio4 Schlange stünden, um ihre Insiderinformationen loszuwerden, war der gut geölte Zensurapparat der Regierung Thatcher in Aktion getreten. Der für die Nachrichtenprogramme der BBC verantwortliche stellvertretende Direktor der Anstalt, John „Was werden sie als nächstes unterdrücken“, fragte der Schatten–Kronanwalt der Oppositionspartei, John Morris; so als wollte er dar über hinwegtäuschen, daß seine Partei ihre Opposition gerade gegen die Geheimhaltungsmanie der Regierung vernachlässigt hat. Dabei waren die Teilnehmer an der geplanten Radiosendung alles andere als zwielichtige Figuren. Neben den Mitarbeitern der Geheimdienste und des staatlichen Lauschquartiers GCHQ äußerten sich in dem Programm immerhin zwei Innen– und zwei Verteidigungsminister über die Rolle der Geheimdienste in einer demokratischen Gesellschaft. Genau dies war wohl unerwünscht. Wohl um der Ausgewogenheit der Zensur willen erwirkte Kronanwalt Sir Patrick Mayhew am gleichen Tag dann auch noch eine Verfügung gegen den privaten Fernsehsender Channel Four. Der Vierte Kanal hatte eine 90minütige Dokumentation über das Berufungsverfahren gegen die „Birmingham Six“ ausstrahlen wollen, sechs Iren, die 1974 in einem Akt emotionaler Schnelljustiz für zwei Terroranschläge der IRA in Birmingham zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden waren. Vermutlich zu Unrecht. Da das Hearing des Berufungsverfahrens, in dem über eine mögliche Freilassung der Verurteilten entschieden werden muß, noch andauert, hätte die nach bisherigen Aussageprotokollen geschauspielerte Verhandlung auf dem Bildschirm nach Ansicht des zuständigen Richters „wahrscheinlich das Vertrauen der Öffentlichkeit untergraben“. Das Vertrauen in was, fragt sich da der Prozeßbeobachter. In eine Gerichtsbarkeit, der die Regierung sowenig traut, daß sie die öffentliche Ausstrahlung der Verfahrensprotokolle untersagt? Diese jüngsten Amtshandlungen bzw. Amtsanmaßungen von Maggies Kronanwalt sind dabei nur die bisher letzten Glieder in einer langen Kette von Einschüchterungsversuchen gegenüber den Fernsehanstalten sowie redseligen Geheimdienstlern und Regierungsbeamten, die Näheres über den undemokratischen Zustand des traditionellen britischen Institutionensystems zu berichten wissen. So gab es im Februar die Zensur eines Fernsehbeitrages über den vor dem Parlament geheimgehaltenen Spionagesatelliten Zirkon. Und nicht zu vergessen den Versuch, die Publikation der Geheimdienstmemoiren des Ex–Agenten Peter Wright zu verhindern. Das Buch über das rechtswidrige Treiben des MI5 in den siebziger Jahren ist in jedem guten Buchladen zwischen Sidney und Castrop Rauxel erhältlich, nicht aber in Großbritannien. Hier darf die Presse nicht einmal über den Inhalt des Buches schreiben.