Neue Töne

■ Die Stahlindustrie muß seit Duisburg–Rheinhausen mit radikaleren Arbeitskämpfen rechnen

Besetzte Straßen und Brücken, wilde Streiks, Eier und Fäuste gegen den Vorstandsvorsitzenden: Kündigt sich so die radikale Revolte der Stahlkocher an? Deutsche Stahlarbeiter nach dem jahrelang akzeptierten Schrumpfungsprozeß nun auf dem Weg vom Protest zum Widerstand? Die Antwort lautet Nein - allerdings, ein Nein mit einem winzigen Ja. Für ein dickes Nein spricht die Krisentypologie der Branche, der Mechanismus der „Abfederung“. Ein paar hunderttausend Kohle– und Stahlarbeitsplätze sind inzwischen weggefallen, ohne daß die Betroffenen in soziales Elend gestürzt worden wären. Im Gegenteil, so mancher vorzeitig ausgeschiedene Bergmann oder Stahlkocher nutzte die frühe Freiheit von der Lohnarbeit, mit 90 Prozent des Nettoeinkommens im Rücken, für wohlverdiente Aufenthalte in angenehmeren Breitengraden. Wer vergleichbare Krisenbranchen, etwa in England, kennt, wird sich hüten, diese von den Montangewerkschaften erzielten Vereinbarungen als „Sozialklimbim“ zu denunzieren. Sie sind immerhin eine Versorgung, mit der auch die älteren Krupp– Arbeiter rechnen können. Dennoch, für ein winziges Ja gibt es Anhaltspunkte, denn leer gehen die Auszubildenen aus, die nicht übernommen werden. Völlig unsicher ist die Situation für jüngere Stahlkocher, die wohl kaum alle von Mannesmann oder Thyssen übernommen beziehungsweise von Krupp umgeschult oder lukrativ abgefunden werden können. Zu diesen existenziellen Sorgen kommen in Duisburg–Rheinhausen zwei entscheidene Dinge hinzu. Nirgendwo sonst ist eine Stahlbelegschaft so offensichtlich von ihrem Vorstand hinters Licht geführt worden. Die Folgen sind Wut, Verbitterung, ja Haß, die zur Überschreitung bisher akzeptierter Grenzen im Arbeitskampf führen könnten. Und da ist Hattingen, Hattingen als Symbol für einen zähen, medienpolitisch einmalig erfolgreichen gewaltfreien Protest, der am Ende die Niederlage nicht zu verhindern vermochte. Wir müssen „mehr machen“, „zuschlagen“, mit der anderen Seite „so umgehen wie die mit uns“,fordern viele als Konsequenz. Von den heißen Brammen auf der Autobahn war zwar auch schon vor Jahren bei Hoesch in Dortmund die Rede, aber bei Krupp schwant den Verantwortlichen erstmals, daß eine solche Radikalisierung nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen ist. Diese Ungewißheit, aus der sich ein Großteil der Verhandlungsmacht des Betriebsrates speist, ist das eigentlich Neue im Stahlkampf. Walter Jakobs