Amnestie in Tunesien

■ 2.487 Gefangene werden begnadigt, darunter 608 Mitglieder der „Bewegung der Islamischen Tendenz“

Berlin/Tunis (taz/afp) - Noch in der letzten Woche hatte der stellvertretende Vorsitzende der tunesischen „Bewegung der Islamischen Tendenz“, Jebali Hamadi, eine Generalamnestie für alle politischen Gefangenen als Gradmesser für die Beurteilung der angekündigten Demokratisierungsbestrebungen der neuen Regierung unter Zine al Abidine Ben Ali bezeichnet. Der Staatspräsident, der am 7. November seinen 84jährigen Vorgänger Habib Bourguiba aus Krankheitsgründen abgesetzt hatte, kam jetzt dem Ansinnen des MTI–Vize einen Schritt entgegen. Am Samstag verkündete er eine Amnestie für 2.487 Gefangene, darunter rund 800 politische Häftlinge. 791 Personen wurden noch am selben Tag freigelassen. Hauptnutznießer des Gnadenerlasses hinsichtlich der politischen Gefangenen ist die „Bewegung der Islamischen Tendenz“ (MTI). 608 ihrer Mitglieder kommen in den Genuß der Amnestie. In Haft bleiben jedoch 90 Angehörige und Sympathisanten der MTI, darunter deren Chef Rachid Ghannuchi, die im September dieses Jahres verurteilt worden waren. Vermutlich wird die Todesstrafe gegen Ali Laaridh in eine Haftstrafe umgewandelt. Die MTI, die im Jahre 1981 gegründet wurde, setzt sich für ihre Zulassung als Partei und politische Handlungsfreiheit ein. Sie strebt ein islamisches Staatswesen in Tunesien an, streitet jedoch unter Hinweis auf den sunnitischen Charakter der Organisation jedwede Beziehungen zum Iran ab. In einem Interview mit der spanischen Zeitung El Pais sprach sich MTI–Vize Hamadi erneut gegen den bewaffneten Kampf aus. „Ich ziehe die Hölle der Demokratie dem Paradies der Diktatur vor“, erklärte er, „Bourguiba war vielleicht ein einfacherer Gegner, aber ich bevorzuge den politischen Kampf mit demokratischen Mitteln.“ Freigelassen wurde auch der Oppositionsführer und Generalsekretär der „Bewegung der Sozialistischen Demokraten“, Ahmad Mestiri. Er war am 16. April 1986 zu Beginn einer Demonstration festgenommen und verurteilt worden und stand seither unter Hausarrest. Ferner fallen 156 Gefangene, die im Zusammenhang mit den Brotunruhen im Januar 1984 verhaftet worden waren, unter die Amnestie. Im Falle von zehn weiteren Häftlingen, die damals zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt worden waren, wurde das Strafmaß auf zehn Jahre herabgesetzt. bs