Nach den Raketen kommt der Krach

■ Von Abrüstung sieht und spürt man in Mutlangen schier gar nichts / Das Pershing–Depot gleicht einer Festung / Die große Sorge der Bevölkerung: Wenn die Raketen weg sind, steht die Lärmbelästigung durch einen Hubschrauberplatz an

Aus Mutlangen Dietrich Willier

Ein eisiger Wind fegt über die Hochebene der Mutlanger Halde. Über einem der Wachtürme des Mutlanger Pershing–Depots ist schon am Nachmittag ein bleicher, runder Mond aufgegangen. PKWs, Lastwagen, ein Militärbus und riesige Baufahrzeuge passieren das neue Rolltor. Hinter der sechs Meter hohen Sichtschutzwand sieht man Baukräne, an anderen Stellen ist für neue Bauarbeiten die Erde aufgewühlt. Das Mutlanger Pershing–Depot, zur Stationierung der Raketen vor vier Jahren nur mit Zäunen und übereinandergelegten Rollen von Natodraht gesichert, gleicht heute einer Festung wie Stammheim. Eine hohe Wand verstellt den Blick, davor gut befestigte Maschendrahtzäune und jede Menge Natodraht. Wachtürme mit bewaffneten GIs an allen Ecken. Nachts ist jeder Meter von Flutlicht ausgeleuchtet. Ein Hundezwinger ist eben erst fertigestellt worden. Schäferhunde und GIs bewachen den Grünstreifen zwischen Zaun und Wand. Vor kurzem erst, trotz Abrüstungsverhandlungen, war mit der Installation eines weiteren, elektrischen Zauns begonnen worden. Das Mutlanger Pershing–Depot macht eher den Eindruck, als werde mit Aufrüstung eben begonnen. Türme zum Aufrichten und Warten der Pershings sind eben fertiggestellt worden, ein neuer Hubschrauberlandeplatz ist im Bau. Ein neues Gebäude für die Fahrerschulung der Pershingtransporter wurde „demonstrantensicher“ gemacht. In Heilbronn, einem anderen schwäbischen Raketendepot, sind Bunker fertiggestellt, aus denen Pershings vor Ort starten können. Mittlerweile ist es 17.30 Uhr. Das Flutlicht rings um das Rake tendepot ist eingeschaltet. Dumpf dröhnend, wie schwarze Libellen mit leuchtenden Augen, starten und kommen die Hubschrauber aus der Schwäbisch Gmünder US– Garnison. Am Rolltor steht ein GI. Er spricht deutsch. Er ist Deutscher und steht im Sold der US–Ar mee. Er bleibt stehen, macht den Eindruck, er wolle reden, traut sich aber nicht. Das sei verboten. Am Rande des Tors unter einer Bogenlampe, haben sich Holger und Ulrike von der Kampagne „ziviler Ungehorsam bis zur Abrüstung“ zu ihrer täglichen Mahn wache eingefunden. Sie schweigen, Ulrike liest ein Gedicht vor, wird von dem Lärm einer Pershing–Zugmaschine unterbrochen, sie singen zusammen. Von Ferne hört man das Schnattern der Mutlanger Wachgänse. Manchmal, sagen sie, stünden sie zu zehnt oder zwanzig vor dem Tor. Danach, vor dem gemeinsamen Abendessen, wird meditiert. Vor ein paar Tagen hatte sich Holger mitten im Ort - bei der Ankunft der Pershingtransporter auf die Straße gesetzt. In ein russisches Arbeitslager gehöre er, hatten ihm aufgebrachte BürgerInnen zugerufen, man brauche die Raketen hier zur Verteidigung gegen den Osten. Ulrike hatte die Mutlanger BürgerInnen aufgeklärt, daß derzeit die Abrüstung der Pershings angesagt sei. Die alte Frau aus dem Mutlanger Edeka–Laden, sagt Ulrike, traue sich kaum noch, ihre Sympathien gegenüber den AtomwaffengegnerInnen zu äußern. Zu oft war ihr der Boykott ihres Lebensmittelladens angedroht worden. Die Politiker, so beschreibt Holger die Stimmung in Mutlangen, hätten die Raketen stationiert, und machten auch jetzt, was sie wollen. Auch er selbst glaubt noch nicht wirklich an eine erfolgreiche Abrüstungsvereinbarung. Er will hierbleiben, bis die Raketen weg sind und solange als Prozeßbeobachter die kommenden Verhandlungen gegen Blockadeteilnehmer vor dem Schwäbisch Gmünder Amtsgericht verfolgen. 2.300 Verfahren stehen noch aus. In der Mutlanger Bevölkerung geht eine Sorge um: Werden die Pershings abgezogen, fürchtet man, würde die Halde wieder zum Hubschrauberlandeplatz, die Lärmbelästigung nähme zu. Die Raketen haben kaum gestört. In der Kneipe sitzen ältere Männer zum Klatschen am Stammtisch. Raketen oder Abrüstungsgipfel gehören nicht dazu. Wenn, dann hat man sich in den vergangenen Jahren über die Friedensbewegten erregt, und deren absurde Vorstellung, mit Sitzblockaden die Raketen aus Mutlangen wieder vertreiben zu können.