British Steel: Profitabel nach drastischer Schrumpfung

■ In acht Jahren Beschäftigung um drei Viertel verringert / Jetzt Privatisierung

London/Berlin (dpa/taz) - Wenn dieser Tage viele Menschen im Revier Angst um ihren Stahlarbeitsplatz haben - nicht nur der Stahlstandort Rheinhausen ist in akuter Gefahr - lohnt ein Blick über den Ärmelkanal. Die britische Stahlindustrie zeigt uns, wohin die Reise der Branche insgesamt geht: Small ist beautiful, gewaltige Schrumpfungsprozesse sind angesagt. Zum Musterfall für die Bekämpfung der „englischen Krankheit“ ist der staatseigene Stahlkonzern British Steel Corporation (BSC) geworden. Die Gesellschaft lag zum Auftakt der Amtszeit der konservativen Premierministerin Margaret Thatcher im Geschäftsjahr 1979/80 (31. März) angesichts ständiger Streiks, eines relativ machtlosen Managements und einer verfehlten staatlichen Beschäftigungs– und Strukturpolitik im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Sterbebett. Damals hatte die Gesellschaft bei einem Jahresumsatz von 3,1 Milliarden Pfund (rund neun Mrd. DM) den höchsten Verlust ausgewiesen, der je bei einem britischen Unternehmen angefallen war: 1,78 Milliarden Pfund. In diesem Jahr wird sie aber zum profitabelsten Stahlkonzern Europas werden und etwa 350 Millionen Pfund vor Steuern verdienen. Deshalb soll der 1967 durch den Zusammenschluß zahlreicher britischer Stahlunternehmen entstandene Staatskonzern spätestens 1989 wieder privatisiert werden. Hinter diesem dramatischen Umschwung steckt eine beispiellose Schrumpfungs–, Entlas sungs– und Sanierungsstrategie, die sich über mehr als ein Jahrzehnt hingezogen hat. In den zehn Jahren bis 1986 hat British Steel insgesamt sieben Milliarden Pfund Verluste gemacht, ehe sie zaghaft in die Gewinnzone zurückkehren konnte. Der Umschwung ist durch die Schließung von hundert Betrieben und Stahlwerken und durch Massenentlassungen erreicht worden. Zu Beginn des Jahrzehnts gab es fast 200.000 BSC–Mitarbeiter. Jetzt sind noch 51.500 übriggeblieben. Gleichzeitig wurde die Produktion auf nur noch fünf große integrierte Stahlzentren konzentriert, die im letzten Jahr 14 Millionen Tonnen Rohstahl erzeugten. Die Fertigung hatte 1980 noch bei 17,4 Millionen Tonnen gelegen und war bis 1986 auf 11,7 Millionen Tonnen geschrumpft. Dank steigender Exporte ist sie inzwischen aber wieder kräftig gestiegen. Mit staatlichen Milliarden–Subventionen konnte der Anteil des im effizienten Strangguß– Verfahren produzierten Stahls von früher 30 auf 65 Prozent erhöht werden. Die Produktivität ist dank der moderneren Anlagen und durch die erheblich gestiegene Arbeitsintensivierung nach weitgehender Zerschlagung der militanten Stahlarbeiter–Gewerkschaften wesentlich gestiegen. Heute operiert British Steel mit einem Bonus–System, das sich am Erfolg des jeweiligen Werkes orientiert. In den letzten zwei Jahren hat auch der Rückgang des Pfundes um 25 Prozent dem Konzern eine erhebliche Stütze beim Export in die EG gegeben. Der Ausfuhranteil ist inzwischen auf 37 Prozent gestiegen gegenüber minimalen Exporten in den siebziger Jahren. In Großbritannien hat BSC einen Marktanteil von 62 Prozent. Im ersten Halbjahr 1987/88 ist ein Gewinn vor Steuern von 190 Millionen Pfund und ein Umsatz von 1,8 Milliarden Pfund erzielt worden. Der Halbjahresgewinn lag damit höher als das Ergebnis im Gesamtjahr 1986/87 (178 Mio. Pfund), und der Umsatz konnte um über 20 Prozent gesteigert werden. Zu verdanken hat die British Steel ihr erstaunliches Comeback dem von den britischen Gewerkschaften als „Schlächter aus Amerika“ bezeichneten Industriellen Ian MacGregor, der später auch die angeschlagene Staatsfirma British Coal sanierte. Der Amerikaner hatte die beispiellosen Entlassungs– und Schließungsaktionen bei der BSC eingeleitet. MacGregor wurde später von Königin Elizabeth II. „für seine Verdienste um die britische Wirtschaft“ geadelt. Der jetzige BSC–Chef, Sir Robert Scholey, ist aber noch lange nicht aus dem Schneider. Er hat noch ganz erhebliche Probleme vor sich. Wahrscheinlich wird British Steel in den neunziger Jahren noch zwei der fünf großen Stahlwerke stillegen müssen, um - wie geltend gemacht wird - an den kontinentaleuropäischen Produktionsstandard heranzukommen. Außerdem drohen der Streit über das europäische Stahlquotensystem und die Kapazitätsüberhänge von 20 bis 30 Millionen Tonnen in Westeuropa.