Die Wahl der Getränke

■ Bernd Ulrich: Abschied vom Feindbild USA

Mit dem Abkommen der Supermächte über die Mittelstreckenraketen ist ein kleiner Tropfen Sekt in ein großes Glas Wermut gefallen. Deswegen ganz aufs Feiern verzichten zu wollen, hieße, sich mit Wörner, Dregger & Co an den Katzentisch der Geschichte zu setzen. Andererseits gibt es auch wenig Grund, mit Gorbatschow auf die Zukunft anzustoßen. Seine Verhandlungspolitik beruht immer deutlicher auf der Fähigkeit zu taktischen Schwenks und zu argumentativen Pirouetten - ein Weg, bei dem ihm keine Friedensbewegung folgen kann. Das Abkommen über die Pershings und SS 20 ist ein wichtiger Erfolg der neuen sowjetischen Politik und ein historischer Schritt. Das zeigt aber vor allem eines: Der status quo in der Sicherheitspolitik ist weniger denn je durch bloßes Weitermachen aufrechtzuerhalten. Heute bedarf es schon historischer Großtaten, um nur den Schritt von der ohnehin schon existierenden Eskalationsdominanz der NATO zur waffengestützten und daher rational begründbaren Angriffsfähigkeit zu verhindern. Die neue Phase der Entspannungspolitik, die mit dem heutigen Gipfeltreffen in Washington auch offiziell eingeleitet ist, kann Hoffnungen und Erinnerungen wecken. Erinnern sollten wir uns besonders an die beiden Preise, die die erste Phase der Entspannungspolitik gekostet hat: 1. Das Konzept der repressiven Stabilisierung nach Innen, das den Aufweichungs– und Liberalisierungs“gefahren“ in beiden Blöcken trotzen sollte. 2. Es ist noch nie in der Nachkriegsgeschichte so viel aufgerüstet worden wie in der Phase der Entspannungspolitik. Das sind Gründe genug zu gespannter Wachsamkeit gegenüber der Entspannung. Diejenigen europäischen Falken, die diesen kleinen Schritt in Richtung Nicht–Noch–Mehr–Aufrüstung bedauern, treiben eine Europäisierung der (Un–)Sicherheitspolitik voran. Europäisierung bedeutet für die hiesige Friedensbewegung, Abschied zu nehmen vom Feindbild. Insofern ist die gegenwärtige Entwicklung auch eine Chance, das eigene Zerrbild zu korrigieren und sich den Gegnern im eigenen Land und auf dem eigenen Kontinent zu stellen. Um auf die Getränkefrage zurückzukommen: Es gibt weder Gründe für Wodka, noch gar für französischen Champagner. Wir müssen wohl nüchtern bleiben. Prost.