: Demonstration in der türkischen Demokratur
■ Die Rechtsanwälte der Kommunistenführer Kutlu und Sargin wurden festgenommen / Razzien gegen Kommunisten 5.000 demonstrierten in Istanbul: Für Generalamnestie, gegen die Todesstrafe und Menschenrechtsverletzungen
Aus Istanbul Ömer Erzeren
Eine böse Überraschung wartete auf die Rechtsanwälte Rasim Öz und Atilla Coskun, die am Montag ins Zentralgefängnis von Ankara gekommen waren, um ihre Mandanten, die Generalsekretäre der „Vereinigten Kommunistischen Partei“, Haydar Kutlu und Nihat Sargin, zu besuchen. Sie wurden gleich festgenommen und in die politische Abteilung des Ankaraer Polizeipräsidiums geführt, an jenen Ort, wo mutmaßlich auch ihre Mandanten gefoltert wurden. Die Aussagen der Generalsekretäre hätten zur Festnahme der Rechtsanwälte geführt, verlautete aus dem Polizeipräsidium. Die Tageszeitung Cumhurriyet berichtete, in den vergangenen Tagen seien in den Städten Istanbul, Ankara und Izmir Polizeirazzien gegen mutmaßliche Kommunisten durchgeführt worden, es habe eine Reihe Festnahmen gegeben. Die türkischen Tageszeitungen meldeten die Verhaftung der Rechtsanwälte in Schlagzeilen auf Seite eins, größere Proteste in der Öffentlichkeit blieben indessen bislang aus. Auch kaum jemand der rund 5.000 Demonstrationsteilnehmer, die sich Sonntag unter dem Motto „Für Generalamnestie, gegen die Todesstrafe“ im Istanbuler Wohnviertel Kadiköy eingefunden hatten, war verwundert über die morgendlichen Schlagzeilen der Tagespresse. „Wir sind gefoltert worden“, hatte der KP– Führer Sargin seinem Anwalt zugerufen - den kurzen Augenblick nutzend, als er nach zweiwöchi gem Verhör bei der Polizei erstmalig dem Staatsanwalt vorgeführt wurde. Mit Hieben und Schlägen wurde der fünfzigjährige Mann daraufhin in einen Kleinbus gestoßen, berichteten türkische Zeitungen. Schon seit Monaten hatte sich der türkische „Verein für Menschenrechte“ um eine Genehmigung für die Demonstration bemüht. Sie sollte die Unterschriftenkampagne des Vereins für eine Generalamnestie und die Abschaffung der Todesstrafe unterstützen. Erst nach langen rechtlichen Auseinandersetzungen und unter rigiden polizeilichen Auflagen erhielt der Verein die Genehmigung: Das Tragen von Fotos Hingerichteter ist verboten. Selbst ein Transparent, auf dem kommentarlos die Namen der Hingerichteten aufgelistet sind, fiel im Vorfeld der Demo dem polizeilichen Verbot zum Opfer. Die Umstände der Demo spiegeln gleichsam die politischen Kräfteverhältnisse in der türkischen Gesellschaft wieder: Der Ausgangsplatz der Demo ist von der Polizei eingekesselt, erst nach Ausweiskontrolle, körperlicher Abtastung und der Durchsuchung auf illegale Flugblätter hin passiert man die Polizeikette. Auf den Balkons der fünf– bis sechsstöckigen Wohnhäuser sind in regelmäßigen Abständen Polizisten mit Maschinenpistolen postiert. Durch lautes Rufen von Parolen versucht die Menge die bedrückende Einkesselung zu durchbrechen. „Die Menschenehre wird die Folter besiegen“, „Leert die Knäste, Generalamnestie“. Auch verbotene Parolen wie „Schulter an Schulter gegen den Faschismus“ oder „Freiheit den Völkern“ werden skandiert. Langsam öffnen sich die Fenster der Wohnhäuser. Ich werde Augenzeuge einer kriminellen Handlung: Zaghaft hält eine Frau ein Foto des im Alter von 17 Jahren hingerichteten Erdal Eren hoch. Mit einer Gedenkminute für Didar Sensoy,Gründungsmitglied des „Vereins für Menschenrechte“, die während eines Polizeieinsatzes am 1.September starb, beginnt die Abschlußkundgebung. Eine alte Frau bricht in Tränen aus, andere recken die Fäuste hoch. In einem einleitenden Beitrag rechnet der Generalsekretär des Vereins mit den Menschenrechtsverletzungen des Regimes ab. „5OO Foltermorde haben wir umfassend dokumentiert, kein Staatsanwalt hat Ermittlungen gegen die Verantwortlichen begonnen. Folter ist integraler Bestandteil der staatlichen Politik. Deshalb hat auch die Türkei jüngst die Folterkonvention des Europarates nicht unterzeichnet. Wen wundert es? Der bekannte Schriftsteller Aziz Nesin zitierte in seiner Kundgebungsrede einen Ehrendoktor für Jura, der feinsinnig begründete, warum die Todesstrafe in der Türkei unverzichtbar ist: „Sollen wir die denn füttern anstatt aufzuhängen?“ Der Doktor honoris causa ist kein Geringerer als der Ex–General und amtierende Staatspräsident Evren.
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