: Ein schmutziger Krieg läßt Kolumbien verbluten
■ Im südamerikanischen Staat ermordeten Todesschwadronen im vergangenen Jahr über tausend Menschen / Schon sammeln Gewerkschaften Geld, um die gefährdetsten Mitglieder ins Ausland schicken zu können / Am heutigen „Tag der Menschenrechte“ ist das Land Hauptthema für amnesty international
Aus Bogota Ciro Krauthausen
Manchen bleibt nur noch der schwarze Humor: „Man muß seine Freunde so ausgiebig wie möglich begrüßen, wer weiß, ob man sie je wiedersieht“, sagt einer und umschlingt seinen Arbeitskollegen, einen schmächtigen, auf einer Todesliste verzeichneten Journalisten, mit seinem abrazo, der in Lateinamerika üblichen Umarmung, wobei man dem Umarmten mehrmals und kräftig auf den Rücken schlägt. Kolumbien, Ende 1987: Das Wort vom „schmutzigen Krieg“ macht die Runde. Tag für Tag zirkulieren neue Todeslisten, auf denen rechtsradikale Todesschwadronen aufzählen, wer alles zu „eliminieren“ sei. Und es bleibt nicht bei schriftlichen Drohungen: „amnesty international“ zählte für 1986 über tausend Morde, und 1987 dürfte diese Zahl noch erheblich gestiegen sein: Die größte Gewerkschaft des Landes, die CUT, beklagt allein 64 Tote, davon 17 Lehrer und Professoren, und die linke Partei „Union Pa triotica“ (UP) hat sogar über 500 Genossen durch die Killerbanden verloren. Nicht ein einziger dieser Morde wurde aufgeklärt, kein einziger Auftraggeber wurde angeklagt, kein einziger Killer gefaßt. Die kolumbianische Justiz ist machtlos. Studenten, Politiker aller Parteien, Bauern, Gewerkschaftler, Künstler - die Gewalt macht vor keinem mehr halt. Ein Historiker bemerkt: „Mir scheint, es handelt sich um einen langfristig angelegten Plan. In den schmutzigen Krieg werden auch solche hineingezogen, die im Moment nichts mit dem Konflikt zu tun haben, von denen aber angenommen wird, daß sie bei einer Eskalation der Lage eine wichtige Rolle spielen könnten. Es ist ein vorgezogener Krieg.“ Die Drohungen sind eindeutig. „Ratten raus aus der Stadt“ steht etwa auf einem Flugblatt, unterzeichnet von einer Todesschwadron mit dem bezeichnenden Namen Blackflag. Schutzmaßnahmen gibt es kaum. Zwar kann man bei der Regierung um Leibwächter bitten, aber die immense Nachfrage ist kaum noch zu bewältigen. Auch ist zweifelhaft, ob die zur Bewachung abgestellten Polizisten immer vertrauenswürdig sind. Als vergangene Woche sechs Mitglieder der Jungkommunisten in der zweitgrößten Stadt des Landes Medellin massakriert wurden, waren die beiden Polizeiposten, wie Augenzeugen berichten, wie vom Erdboden verschwunden. Hohe UP–Funktionäre haben neben den staatlich angebotenen noch ihre eigenen Leibwächter. Aber auch das nützt wenig. Bernardo Jaramillo, seit der Ermordung seines Vorgängers Jaime Pardo Leal im vergangenen Oktober Chef der UP, gab bekannt, daß seine zwei Leibwächter, beide Parteigänger, vergangene Woche spurlos verschwanden - vermutlich von Todesschwadronen gekidnappt. Die Angst breitet sich aus. „Der schmutzige Krieg ist zwar sehr selektiv, aber er schüchtert alle ein. Es handelt sich um eine psychologische Kriegsführung, die sich gegen die kritische Öffentlichkeit richtet“, erklärt der Politologe Eduardo Pizarro. Einige Gewerkschaften sind zur Zeit darum bemüht, internationale Solidaritätsfonds aufzubauen, um wenigstens die gefährdetsten ihrer Mitglieder ins Ausland schicken zu können. „Wir müssen unbedingt zwei Leute vorübergehend herausschleusen, denn bis zu den Bürgermeisterwahlen im März wird die Mordwelle nicht abebben“, berichtet ein Gewerkschaftler. Seinem Hilferuf an das Ausland fügt er hinzu, daß einer der beiden Bedrohten schon zwei Attentate überstanden habe. Der Exodus „Es ist nicht unsere Politik, bedrohte Leute aus dem Land zu bringen, aber in ganz schlimmen Fällen ist es das einzige, was uns bleibt“, erklärt Abel Rodriguez, Vorsitzender der Lehrergewerkschaft. Die Namen von über 500 Migliedern der Organisation sind auf Todeslisten erschienen. Wer es sich leisten kann und der Bedrohung nicht mehr gewachsen ist, verläßt das Land. Über 200 sollen inzwischen den Weg ins Exil gewählt haben, unter ihnen Universitätsprofessoren, Journalisten und Ärzte; die Starjournalisten Antonio Caballero und Daniel Samper befinden sich inzwischen in Spanien. Caballero ist fest entschlossen, zurückzukehren, doch Menschenrechtler raten ihm dringend ab: er stehe ganz oben auf der Abschußliste. Zum Exil Daniel Sampers meinte der zweitmächtigste Mann im Lande, der Berater des Präsidenten, Gustavo Vasco, befriedigt: „Bien ido“ - gut, daß er fort ist. Auf einem Cocktail bezeichnete Vasco, dessen Schwiegersohn von Journalisten korrupter Praktiken beschuldigt wird, Samper als „moralischen Killer“. Die Äußerung löste unter den Journalisten Empörung aus. Über die Pressefreiheit in Kolumbien werden düstere Prognosen gestellt. Im März 1988 finden die ersten direkten Bürgermeisterwahlen der kolumbianischen Geschichte statt. Bisher wurden die Bürgermeister immer von oben eingesetzt. Die Direktwahl könnte vielerorts der traditionellen Kungelei zwischen Liberaler und Konservativer Parteiein Ende setzten. Darin sehen politische Beobachter denn auch einen der Hauptgründe der gegenwärtigen Gewalt. Schon wird laut darüber nachgedacht, ob die Bürgermeisterwahlen in den Gebieten des Landes, in denen die rechtsradikale Gewalt am stärksten ist und die linke UP die meisten Sympathien hat, nicht besser verschoben werden sollten. Die UP von Wahlsiegen abzuhalten ist offensichtlich eine der Absichten der Todesschwadronen. Die Parteiführung der UP erklärte, sie besitze Informationen über eine in Bogota geplante „Operation roter Dezember“. Diese richte sich gegen die Parteispitze und gegen sonstige kritische Stimmen in der Hauptstadt. Bogota ist bisher vom schmutzigen Krieg weitgehend verschont worden, so daß viele hier Zuflucht gesucht haben. Derweil läßt die Guerilla kaum mehr Zweifel daran, daß für sie die einzige Alternative zum schmutzigen Krieg der bewaffnete Kampf ist. Ein Kommando der „Coordinadora Guerillera Simon Bolivar“, des Dachverbandes aller kolumbianischen Guerilla–Organisationen, ermordete Mitte November den rechtsradikalen Parlamentarier Pablo Guarin, der für seine Verwicklungen in die Todesschwadronen bekannt war. Aber auch die Guerilla steht einem offenen Bürgerkrieg skeptisch gegenüber: „Es ist so, als ob wir Stierkämpfer wären und sie uns in den Ring geschickt hätten, ohne uns Zeit zu lassen, die Uniform anzuziehen. Während der Stier losrennt, müssen wir noch unsere Hose zuknöpfen „, kommentiert ein Mitglied der Guerillaorganisation M–19. Die Kolumbien–Gruppe Tübingen bittet um Spenden für die Menschenrechtsarbeit und einen Flüchtlingsfonds: Kto.Nr.480 993 27 Kreissparkasse Nürtingen BLZ 612 500 30 Stichwort „Menschenrechte“.
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