„Keine Wohnung, kein Geld? Um so besser!“

■ Werbeunternehmen für Zeitschriften–Abonnements nutzen Gutgläubigkeit und Not aus und gaukeln bei Einstellungen hohen Lohn vor / Siehe auch taz von gestern

Von Karl Nolte

Böse Absichten hatte sie wirklich nicht, diese kleine, etwas ausgefallen gekleidete Person. Und vom schnell verdienten großen Geld träumte die im achten Monat schwangere junge Frau schon lange nicht mehr. Darum verlangte sie vom Sohn des Pastors, der sich gerade mit Freundin im Garten des elterlichen Hauses im nordhessischen Gertenbach aufhielt, auch nichts weiter als vier Unterschriften unter Zeitschriftenabonnements. Die Adresse zum Stornieren der Aufträge lieferte sie gleich mit. Die Abo–Werberin wollte abends wenigstens ihre sechs „Scheine“ vorlegen können, um dem gröbsten „Ärger“ zu entgehen. Der würde erst acht Tage später auf sie zukommen, wenn die Stornomeldung vorliegen würde. Für stornierte Scheine wurden keine Prämien ausgezahlt, die Frau hatte somit nichts weiter verdient als vorläufige Ruhe: Arbeit war für die Abo– Werberin seit geraumer Zeit nichts weiter mehr als ein täglicher Kampf um die eigene Existenzberechtigung. Was morgen würde, war ihr bereits egal. Die „Werber“, auch „Drücker“ genannt, sind die am übelsten Betrogenen in einem verlogenen Geschäft und werden darum von Personalbüros und Werbeunternehmen ständig in Kleinanzeigen unter der Rubrik „Stellenmarkt“ gesucht und hofiert. Mit dreist geführten Einstellungsgesprächen gelingt es den Personalchefs, gleich von Anfang an die Spreu vom Weizen zu trennen und nur die Gutgläubigsten und in Not geratenen Zeitgenossen für ihre Zwecke zu gewinnen. „900 Mark wöchentlich“ verspricht Andreas Knoth, Chef des Personalbüros „Rapid“ in der Joachimsthaler Straße in Berlin, dem Bewerber, wenn er nur einmal bereit sei, den Mitarbeitervertrag zu unterschreiben, um anschließend „Öffentlichkeitsarbeit“ für die „Internationale Flugrettungsambulanz“ zu betreiben. Einsicht in das zu unterschreibende Papier will Herr Knoth allerdings nicht gewähren, und daß der Interessent die Sache „lieber noch einmal überschlafen möchte“, hält er für Unsinn: „Wenn Sie schlafen, können Sie doch gar nicht nachdenken!“ Ein Herr Schreiber von der „Vertriebsabteilung Helmut Otto“ am Steindamm in Hamburg würde den Anrufer wohl am liebsten an den Ohren durch den Telefonhörer ziehen, um ihn zu sich ins Büro zu bekommen. Keine Wohnung, kein Geld? Um so besser! „Packen Sie gleich Ihre Sachen und kommen Sie vorbei, ich fahr Sie mit dem Wagen nach Bremen ins Hotel, das zahlt natürlich alles die Firma.“ Hauptarbeitsgebiet sei nach kurzer Schulung „Kundenberatung“. Verdient werde „bei Eignung 2.000 Mark netto“. Einen Arbeitsvertrag könne er zwar nicht bieten, jedoch: „Sie sind ja froh, wenn Sie hier wegkommen, nich?“ Die Pressestelle des Hamburger Arbeitsamtes weiß über Werber–Konditionen allerdings ganz anderes zu berichten: Etwa 40 ehe malige Drücker sind dort zur Zeit gemeldet, „kein einziger von denen“ wolle in der Branche noch einmal tätig werden. „Die meisten Leute“, berichtet die Sprecherin des Amtes, „konnten den psychischen Druck nicht aushalten und kamen mit ihrem Geld hinten und vorn nicht mehr hin.“ Viele der hier Gemeldeten hätten sich aus Angst vor ihren ehemaligen Arbeitgebern von Süddeutschland hierher „geflüchtet“. Anspruch auf Arbeitslosengeld habe keiner der Drücker, da alle ausschließlich auf freiberuflicher Basis gearbeitet hätten. Jedoch versuche die Behörde, den Gestrandeten durch Fortbildungs– oder Schulungsmaßnahmen wieder auf die Beine zu helfen. Daß der Drücker in seinem Beruf kein Geld verdienen kann, macht eine einfache Rechnung deutlich: derzeit 4.500 Drücker arbeiten nach Auskunft des Geschäftsführers „Arbeitsgemeinschaft Abonnentenwerbung e.V.“ (AGA), Werner Pientka, im Zeitschriftenvertrieb. Insgesamt zwei Millionen mal waren diese Türverkäufer erfolgreich und konnten ein Abo vermitteln. Die durchschnittliche Werber–Prämie je Abo liegt bei 25 Mark. Wenn 4.500 Drücker also gemeinsam jährlich 50 Millionen Mark verdienen, kommt man auf ein mittleres Jahreseinkommen von rund 11.000 Mark pro Nase. Das wiederum bedeutet einen Monatsverdienst von knapp 900 Mark - meistens nicht einmal genug, um wenigstens die anfallenden Kosten für Hotelunterkunft und Krankenversicherung zu decken. Logisch, daß Werner Pientka da unter den Drückern immer wieder „schwarze Schafe“ entdeckt, die mit „nicht ganz sauberen Methoden“ werben, um ihren Umsatz zu steigern. Für den direkten Vorgesetzten des Drückers, den Kolonnenführer, sieht die Sache allerdings schon wieder ganz anders aus: Er reist mit durchschnittlich sechs Mitarbeitern durch die Gegend und kassiert pro Abo zusätzlich die Hälfte der Drückergage. Damit kommt er auf einen Monatslohn von rund 2.800 Mark, vorausgesetzt, die Truppe spurt. Prima verdient der Organisationsleiter des von mehreren Kolonnen abzugrasenden Bezirks, nämlich gerade soviel, wie alle seine Kolonnenführer zusammen. Und richtig reich kann sich der Chef selber schätzen: Er haut als Unternehmeranteil noch einmal die Hälfte dessen drauf, was seine Organisationsleiter gemeinsam verdienen. Zusammen mit den Fixkosten für Übernachtung und Verwaltung von etwa 40 Mark setzen sich aus diesen Beträgen die „Gestehungskosten“ eines Zeitschriftenabonnements zusammen, daß der Unternehmer mit nochmaligem Aufschlag weiterverkauft, sofern er den Vertrieb nicht selbst übernimmt. Da die Fixkosten ohnehin niedrig sind, der Werberanteil außerdem kaum noch zu drücken ist, andererseits bei jährlich zwei Millionen an der Haustür verkauften Abos die Schallmauer erreicht scheint, bleibt dem Unternehmer nur noch eines, um den Gewinn zu steigern: mehr Umsatz durch mehr Drücker. Die sich deshalb verschärfende Konkurrenzsituation auf dem Markt für Menschenmaterial hat eine neue Art von Personalbüro geschaffen, mit denen nicht einmal AGA–Geschäftsführer Werner Pientka etwas zu tun haben will: Sogenannte „Kopfgeldjäger“, die Drücker gegen Prämie an Werbefirmen weitervermitteln, wobei sich der Preis nach der durchschnittlichen Umsatzleistung der späteren Drücker richtet. Die auf dem Markt herrschende Enge ist Ursache auch für andere unschöne Vorkommnisse. Von ein paar „bösen Fällen“ weiß da der AGA–Geschäftsführer zu berichten, die allerdings „stark rückläufig“ seien: Kolonnen, die von ihren jeweiligen Chefs aufeinandergehetzt wurden, um offene Fragen sich widerstreitender Gebietsansprüche gewaltsam zu klären. Fortsetzung in der taz von morgen