„Wir bleiben, bis der letzte Ami weg ist...“

■ Italiens Cruise–Base Comiso am „Day after“ / Die Stimmung in Comiso schwankt zwischen hocherfreut und unsicher / Die Cruise–Base soll kein konventioneller Stützpunkt werden / Gründung einer Friedensuniversität auf Gelände gefordert

Aus Comiso Werner Raith

Die mächtige Friedenstaube, rundum mit Glühbirnen geschmückt und über der Piazza vor dem Rathaus schwebend, erweist sich an diesem Abend in der Tat als unübertreffliches Symbol für „Cruisetown“ (so ein Graffitto am Stadteingang von Comiso): Das flackernde Licht, der zeitweilige Totalausfall der Beleuchtung aufgrund des Nieselregens trifft ziemlich genau die Stimmung der 30.000–Einwohner–Stadt: hocherfreut, „die menschheitsbedrohenden Dinger loszuhaben“, wie der sozialistische Bürgermeister Lo Perna tönt, doch „unsicher, was die da oben“ - in Rom, Washington oder sonstwo - „mit uns nun weiter vorhaben“, wie sein kommunistischer Vize Zago dazufügt. Verteidigungsminister Zanone, der ab und an auf der gigantischen Tele–Wand mit der Live–Übertragung der Reagan–Gorbatschow–Feier erscheint, hüllt sich in sybillinische Worte wie „Wir haben doch jetzt drei Jahre Zeit, über die künftige Verwendung der Base zu entscheiden“. Für die Menschen hier nicht besonders beruhigend: „Die wollen uns hier einen konventionellen Stützpunkt aufdrehen“, vermutet Giancarlo vom seit vier Jahren bestehenden „Friedenscamp“ vor der Stadt, und seine Mitstreiterin Valeria stampft trotzig mit dem Fuß auf: „Wir bleiben aber, bis der letzte Ami weg ist.“ Dieses Wegsein der Amerikaner wollten die Leute aus Comiso eigentlich heute schon feiern - Marylin Monroe „Bye bye baby“ wurde den ganzen tag zu „Bye bye Cruise“ umfunktioniert, ein prächtiges Feuerwerk (das die „Bye bye“–Worte ans Firmament malte, erhellte spätabends noch die Regenwolken, die Leuchtreklamen „used cars“, „fashions“ oder „videogames“ blieben ausgeschaltet. Umso prächtiger funkelte die „Ho Tschi Minh“–Bar des militanten Base–Gegners Toto. Doch so recht will die Freude nicht aufkommen, selbst nicht, als sich in der Person des eingeflogenen sowjetischen Botschaftsrates Alexander Wladitschenko die Abrüstungsrealität sozusagen leibhaftig präsentiert: Die Angst, nun möglicherweise als konventionelle Nato–Basis „jedem Angriff, selbst vom nahen Ghadaffi, ausgesetzt zu werden, ohne daß damit für den Angreifer ein Lebensrisiko verbunden ist“, bewegt viele. So stehen die Friedensfreunde denn auch gespannt– wachsam bereit, um ihre Anliegen weiter voranzutreiben. Sie fordern die Gründung einer „Friedensuniversität“, der ersten auf der Welt, auf dem Cruise–Gelände; sollte die Regierung hier nicht mitmachen, drohen sie mit einen „Referendum der Bevölkerung von Comiso über die Zukunft des ehemaligen Raketengeländes“. Der buddhistische Mönch Jin–Yu, der hier wochenlang unentwegt für den Frieden gebetet hat und nun eigentlich andere Gebetsziele anpeilen wollte, überlegt jetzt, „ob ich nicht weitermachen soll, bis der Friede wirklich gesichert ist - nicht nur mit weniger Waffen, sondern mit gar keinen Waffen“. Bürgermeister La Perna jedenfalls sieht für die Zukunft der Base „zwar allerhand Möglichkeiten, von einer zivilen Nutzung der Landebahnen, etwa zur Förderung des Fremdenverkehrs, bis zur Einrichtung von Teilen der Hochschule aus Catania oder Palermo“; doch den Friedenskämpfern wird dabei eher mulmig zumute. Sicher ist, daß mächtig Geld hierher fließen wird (schon um die etwa tausend italienischen Angestellten der Base „aufzufangen“). Doch das, wissen die Menschen hier, lockt unweigerlich auch wieder Spekulanten und Dunkelmänner an, die dann kräftig mitreden werden, wo was und wann verwirklicht wird. Kommt die Mafia wieder, die vor fünf, sechs Jahren einerseits am Grundstücksmarkt Millionen verdient, andererseits „Ruhe“ in dieser Gegend garantiert hat? Bürgermeister La Perna lacht: „Das wird sich nicht wiederholen“, sagt er treuherzig. Immerhin: vordem hatten die Stadtgewaltigen ebenso treuherzig behauptet, es habe gar keine mafiose Einmischung gegeben. Valeria jedenfalls bleibt dabei: „Solange wir nicht dem letzen Ami das „Bye bye“ nachwerfen können“, ruft sie ins Mikrophon, „wird es keinen Frieden geben.“ Die Leute auf der Piazza nicken. Doch zum beifälligen Klatschen können sie sich nicht entschließen.