Draufsatteln, wenn der 129a nicht reicht

■ Im Stammheimer Verfahren gegen Eva Haule–Frimpong erweitert die Bundesanwaltschaft drei Monate nach Prozeßbeginn die Anklage: Aus einer zweifelhaften Ausspähung wird Mordversuch / Überraschende „neue Erkenntnisse“ der Schriftsachverständigen

Aus Stammheim Dietrich Willier

Zu Weihnachten, so hatte der 5.Strafsenat des OLG Stuttgart zu Beginn des derzeitigen Stammheimer Verfahrens gegen Eva Haule, Christian Kluth und Luitgard Hornstein prognostiziert, könne deren Prozeß beendet sein. Das war Anfang September. Daß daraus nichts wird, dafür sorgt vor allem die Bundesanwaltschaft. Wegen Mitgliedschaft in der RAF hatten die Karlsruher Bundesanwälte Anklage erhoben, Eva Haule–F. soll darüber hinaus Urkunden gefälscht, Hehlerei betrieben und gegen das Waffengesetz verstoßen haben. Jetzt - drei Monate später - soll das alles ganz anders sein. Ihre Beweisaufnahme, so stellte die Bundesanwaltschaft plötzlich fest, habe ergeben, daß „Aufzeichnungen“ zu einem versuchten Sprengstoffanschlag Ende 1984 auf eine NATO–Schule in Oberammergau nur von Frau Haule stammen könnten. Sie habe damit, so heißt es in der erweiterten Anklage, diesen Anschlag zusammen mit anderen geplant, vorbereitet und durchgeführt, habe ein Sprengstoff– und Tötungsdelikt als eigene Tat gewollt, habe versucht, mindestens 14 Personen heimtückisch zu töten und eine Vielzahl anderer zu verletzen. Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Fehlender Fahndungserfolg scheint den Erfolgszwang in Stammheim zu verschärfen - es wird Zeit, daß die Bundesanwälte sich da entscheiden. Kaum waren - noch während des letzten Hungerstreiks - die neuestens Fahndungsplakate erschienen, da prangte neben anderen, denen der Oberammergauer Anschlag vorgeworfen wurde, auch das Foto von Eva Haule. Nach ih rer Verhaftung aber, anderthalb Jahre später, wollte von einer konkreten Tatbeteiligung nur noch das BKA etwas wissen - die Anklage warf Frau Haule–Frimpong lediglich die Ausspähung verschiedener Objekte, unter anderem Oberammergau vor. Daß die erweiterte Anklage, wie das Kaninchen aus dem Zylinder, erst jetzt beigebracht wird, entspricht durchaus Stammheimer Gepflogenheit. Sinn macht es allemal. Die Stammheimer Prozeßstrategie der Bundesanwaltschaft, im Widerspruch zur Strafprozeßordnung alle anderen Verfahrensbeteiligten über neue Beweismittel bis zuletzt im Unklaren zu lassen, ist nicht neu. Und neu wäre auch nicht der Versuch, Angeklagte über einen „milden“ Strafvorwurf doch noch zum Reden zu bringen. Erst jüngst konnte sich ja selbst Generalbundesanwalt Kurt Rebmann vorstellen, Aussteigern, denen nur die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird, mit Milde zu begegnen. Bei Eva Haule–Frimpong scheint man diese Hoffnung begraben zu haben. Plötzlich wollen Schriftsachverständige des Bundeskriminalamts auf Papieren, die längst vor dem Oberammergauer Anschlag in einer Frankfurter Wohnung entdeckt worden waren, die Handschrift Frau Haules identifiziert haben. Aus anfänglicher „Wahrscheinlichkeit“ war Sicherheit geworden, anhand vier oder fünf druckschriftlich geschriebener Worte. Daß der Anschlag dann später ganz anders ausgeführt wurde als nach den sogenannten Ausspähungen zu vermuten, scheint den Bundesanwälten ohne Bedeutung. Am vergangenen Dienstag for derte der Vorsitzende Richter des 5.Strafsenats Eva Haule–F. und ihre Mitangeklagten auf, sich gegen diese Vorwürfe vorzubereiten. Ein hinreichender Tatverdacht, so Richter Schmid, ergebe sich aber aus der neuen Anklage noch nicht. Frau Haules Verteidiger forderte eine dreimonatige Unterbrechung der Hauptverhandlung. Der Prozeß, so Rechtsanwalt Viergutz, sei von den Füßen auf den Kopf gestellt worden, und in seiner bisherigen Form gestorben. Darüber hinaus solle ein weiterer Wahlverteidiger für Frau Haule bestellt werden. Am 12. Januar kommenden Jahres sollen auf Antrag der Verteidigung die rechtskräftig verurteilten RAF–Mitglieder Adelheid Schulz, Ingrid Jakobsmeier, Helmut Pohl und Christian Klar als Zeugen zur „RAF im Knast“ und zum Verhältnis von Guerilla und Widerstand aussagen. Der italienische Staatsbürger Alessandro dalla Nora, der der Polizei aus seiner Eisdiele den entscheidenden Hinweis zur Festnahme der drei Angeklagten gegeben haben soll, hat sich bisher einer Zeugenvernehmung entzogen. Zwar kennt das Bundeskriminalamt seinen derzeitigen Wohnsitz in Süditalien - man ist aber bestenfalls bereit, dalla Nora kommissarisch in der Schweiz vernehmen zu lassen. Dalla Nora soll für seinen damaligen Hinweis 100.000 DM erhalten haben.