Angstlöser für Barschel

■ Die Lübecker Staatsanwaltschaft ermittelte, daß Uwe Barschel große Mengen Psychopharmaka bezogen hat

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Wenn Uwe Barschel tatsächlich all die Psychopharmaka geschluckt hat, die er sich in den letzten beiden Jahren zeitgleich von mehreren Ärzten hat verschreiben lassen, dann hatte Schleswig–Holstein einen stark medikamentensüchtigen Regierungschef. Wie die Lübecker Staatsanwaltschaft jetzt ermittelte, hat Barschel „von drei oder vier Ärzten“, große Mengen des „Angstlösers“ Tavor bezogen. Dieses Psychopharmaka verzeichnet - gemessen an seinem Marktanteil - häufigere Meldungen von Abhängigkeit und ist pro Tablette sehr viel höher dosiert als das vergleichbare Valium. In der Regel sollte es von Ärzten nicht länger als zwei bis sechs Wochen verordnet werden. Barschel hat sich Tavor jedoch sporadisch seit 1980 und in extrem hohen Mengen seit Anfang 1986 verschreiben lassen. Diese Mengen würden umgerechnet einer täglichen Dosis von 4,2 bis 4,5 Milligramm entsprechen - eine Dosis, die eigentlich nur in psychiatrischen Kliniken verabreicht werden darf. Erste Anzeichen von körperlicher Abhängigkeit zeigen sich bei diesem „Angstlöser“ schon nach vierzehntägiger Einnahme. Unklar ist bisher, welche Ereignisse dazu geführt haben, daß Barschel sich Anfang 86 plötzlich diese Riesenmengen hat verordnen lassen und warum weder der Bericht des Krankenhauses, in dem er nach seinem Flugzeugabsturz behandelt wurde, noch der Bericht seines Hausarztes einen Hinweis auf Medikamentensucht enthalten. Beide Berichte wurden im Oktober von der Lübecker Staatsanwaltschaft an die Genfer Ermittlungsbehörden geschickt. Nach den bisherigen Erkenntnissen würde das Obduktionsergebnis durch eine mögliche Psychopharmaka–Sucht Barschels nicht wesentlich beeinträchtigt. Zwar könne man sich auch mit dem Medikament Tavor umbringen, urteilen Gerichtsmediziner, Abhängige würden allerdings bei einer sehr viel höheren Dosis überleben als andere. Der Obduktionsbericht gehe jedoch davon aus, daß nicht Psychopharmaka, sondern Schlafmittel den Tod Barschels verursacht haben. Eindeutiger ist dagegen, daß die Staatsanwaltschaft mit ihrer Untersuchung auch einen Beitrag zur Reinwaschung der schleswig–holsteinischen CDU und ihres nun für unzurechnungsfähig erklärten ehemaligen Ministerpräsidenten geleistet hat. Jetzt sind die Tabletten, und nicht etwa Machtstreben und Politik an den schmutzigen Praktiken des „MP“ schuld.