Kein Geld für Ungarns Synagoge

■ Es kostet 50 Millionen Mark, um sie wieder instandzusetzen / Die Evangelische Kirche der DDR hat versprochen, den ungarischen Juden bei der Restauration Unterstützung zu leisten

Von Verena Dohrn

An der Verlängerung des Museumsrings im Zentrum von Budapest steht sie: die Große Synagoge, sechstausend Menschen haben darin Platz. Auch Plastikplanen zum Schutz gegen den Regen können den Verfall des 130jährigen Gebäudes nicht aufhalten. 50 Millionen DM sind nötig, um das Gebäude wieder instandzusetzen. „Gehen Sie zu Bischof Kruse, fragen Sie ihn: Wann wird die Evangelische Kirche der jüdischen Gemeinde in Budapest Geld für den Wiederaufbau der Großen Synagoge schicken. Wir müssen vor dem nächsten Winter wenigstens das Dach reparieren.“ Oberrabbiner Singer, über siebzig Jahre alt, sitzt mir im Foyer des Hotels Thermal auf der Margareteninsel gegenüber. Alter und Krankheit zum Trotz macht er sich stark für die Juden in Ungarn: „Wären die 60.000 noch am Leben, die unter Hitler ermordet wurden, würden sie selbst für ihre Synagoge sorgen.“ Rabbiner Singer konnte - im Unterschied zu einigen seiner Geschwister - dem Naziterror entkommen. Er war Sekretär des legendären schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg und hat miterlebt, wie der Diplomat Tausenden von Juden das Leben rettete. Später, nach der Befreiung durch die Rote Armee, ist Wallenberg in sowjetischen Lagern verschollen. Rabbiner Singer erzählt immer wieder von seinen Erlebnissen, damals. So auch in seiner Predigt zu Beginn des Sabbat am 15.Mai. Er spricht vor einer kleinen Gemeinde vorwiegend älterer Leute. Gorbatschows Reformpolitik beginnt auch in Ungarn Früchte zu tragen: Erstmalig tagte hier Anfang Mai der jüdische Weltkongreß. Das ist kein Zufall. Die nationalistische Horthy–Regierung kollaborierte zwar mit den Hitlerfaschisten, weigerte sich aber standhaft, Juden auszuliefern. Erst im letzten Kriegsjahr, als Horthy vor den Alliierten kapitulieren wollte, stürzten die Deutschen die Regierung und brachten die faschistischen, antisemitischen „Pfeil kreuzler“ an die Macht. Adolf Eichmann setzte die Deportation, die planmäßige Judenvernichtung auch in Ungarn durch, zuerst in der Provinz, dann in Budapest. Die Budapester Juden mußten in das Ghetto um die große Synagoge ziehen. Als die Rote Armee vor der Stadt stand, drohten die Pfeilkreuzler das Ghetto mit der Synagoge in die Luft zu sprengen. Ob es Wallenbergs Verdienst war, daß dies nicht geschah? Heute leben noch an die 20.000 Juden in Budapest. Sie kommen in den Genuß mancher Brosamen, die von Kadars Tisch der Liberalisierungspolitik fallen. Sie bekommen zwar keine staatlichen Zuschüsse wie die Katholische Kirche, aber man toleriert sie. Ungarn ist der einzige osteuropäische Staat, der seiner jüdischen Gemeinde schon frühzeitig erlaubte, Mitglied des Weltkongresses zu werden. In Ungarn gibt es das einzige Rabbinerseminar des Ostblocks und über Ungarn erhalten sowjetische Juden hebräische Thora–Bücher aus Israel. Um so wichtiger wäre es, die Kooperation zu festigen. Bischof Kruse hat bei einem Besuch in Budapest dem Oberrabiner in die Hand versprochen, bei der Restauration der großen Synagoge zu helfen, Vertreter der „Lutherischen Europäischen Kommission für Kirche und Judentum“ waren beim Weltkongreß dabei. Sie halten kontinuierlich Kontakt zu Rabbiner Singer. Sicherlich, 50 Millionen DM sind kein Pappenstiel. Über eine solche Summe kann ein einzelner nicht so einfach verfügen, auch nicht, wenn er Bischof der evangelischen Landeskirchen ist, aber er kann sich der Sache annehmen. Denn: Fürsprecher müssen her, die Sorge tragen, daß das Synagogenprojekt schnell in der Kirchenkonferenz, im Rat der evangelischen Kirchen Deutschlands entschieden wird. Auch die Katholische Kirche soll ihren Teil der Verantwortung für Vergangenheitsbewältigung übernehmen. Die Mühlen der Kirchenbürokratie mahlen langsam, aber danach richtet sich der Regen nicht: Jeder Tropfen frißt an dem alten Mauerwerk der Synagoge, verteuert die Restauration. Dagegen könnte jede Devisenmark ihren „Mehrwert hecken“ in Budapest und der Staatsbank Kredite entlocken. Rollt erst die DM, dann rollt auch der Forint; der ungarische Staat will die Hälfte der Baukosten tragen, wenn der Westen zahlt.