„Die wollen nicht kaufen - alles Arschlöcher“

■ Der taz–Reporter unterwegs mit „Drückern“, den Zeitschriftenabonnementswerbern / Mit Kakteen fängt man Oma Bartels / Drücker unter Druck

Von Karl Nolte

Warum fällt Oma Bartels auf Uwe Fichtbeil (alle Namen wurden geändert) herein? Was hält die Sozialhilfe–Empfängerin davon ab, dem bierbäuchigen Hagestolz mit dem alkoholzerfurchtem Gesicht gleich nach den ersten Worten die Wohnungstür vor der Nase zuzuschlagen? - „Alles nur eine Frage des Gefühls, das lernst du mit der Zeit.“ Souverän tut der Star– „Drücker“ der Firma Egon Fröhlich die Fragen seines neugierigen Lehrlings ab, während wir raschen Schrittes das heruntergekommene Mietshaus in Berlin– Schöneberg verlassen. Oma Bartels hat Uwe eben ein Jahresabonnement der Welt am Sonntag abgekauft. Innerhalb einer Stunde hat der Mann vier Abos verkloppt - in meinem Kopf beginn es zu arbeiten: Wenn wir diesen Burschen für die Abonnenten–Werbung engagieren, ließe sich die Auflage der taz in einem Jahr locker um 8.000 Exemplare steigern... Beworben für den Drückerjob hatte ich mich tags zuvor auf ein Inserat in der Berliner Zeitung (BZ). „Egal, was sie vorher gemacht haben, wir lernen Sie an“, hieß es da, „1.300 DM netto im ersten Monat“ las ich, und eine Stunde später stehe ich im ersten Stock der Amsterdamer Straße 25 vor einem Schild mit der Aufschrift „Personalbüro Wolf“. Auf mein Klingeln öffnet Herr Seemann, ein weißhaariger alter Zausel im hellblauen Norwegerpullover. Fragen nach meinem beruflichen Werdegang sind schnell abgetan. Herr Lehmann interessiert sich dafür eingehend für meine augenblickliche Situation, die ich in düsteren Farben schildere: Aus der Heimat abgehauen, keine Wohnung, keine Arbeit, kein Geld, Papiere momentan schwer zu beschaffen. Das reicht offenbar. Tags drauf um halb neun soll es losgehen. Verabredungsgemäß nimmt mich mein neuer Chef Egon fröhlich am nächsten Morgen unter seine Fittiche. Im metallic–blauen Mercedes 500 SEL mit Bordtelefon geht es zum Drücker–Treff im „Haxen–Hendl–Steaks Restaurant“ in der Turmstraße. Unterwegs ein erstes Angebot: „Wenn du eine Wochnung suchst, ich hätte da ein Zimmer für dich. Kochnische, Dusche, kostet 490 Mark im Monat. Kannst es natürlich auch selbst versuchen. Aber ich sag dir: die wolln dich alle nur bescheißen.“ Im Hinterraum des Haxen– Hendl sitzen meine Kollegen - 15 Männer und eine Frau - und frühstücken. Geredet wird nicht viel, die Leute mustern mehr oder weniger interessiert den Neuling. Keiner von den Kollegen sieht so aus, als habe er das Glück unter Vertrag genommen, im Gegenteil: Hier scheinen eher Versprengte zu sitzen, Menschen, denen sich das Leben bisher vor al lem von seiner tückischen Seite gezeigt hat. Uwe ist der Boß, ein lustiger und aufgeräumter Geselle. Ab und an geht er allerdings mit jemandem aus der Gruppe hinaus; dann wird der Drücker unter Druck gesetzt, ein unbeliebtes Ritual, das deswegen von allen mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wird. Bevor es in zwei VW–Bullis los geht, verteilt Uwe unter großem Aufwand Köder für den Kundenfang. Die Weihnachtskakteen werden nach Leistung vergeben, ein guter Abo–Werber bekommt neun, der schlechte nur vier. Die guten werden in aussichtsreichen Straßen ausgesetzt, die schlechten in solchen, die vor einem halben Jahr schon einmal von der Kolonne abgegrast worden sind. Diese Taktik macht es für schlechte Drücker natürlich schwierig, sich an die Spitze innerhalb der Gruppe vorzuarbeiten. Charly hat gestern nur zwei Abos geschrieben und ist hinten. „Los, Charly, heute machst du acht!“ feuern ihn die anderen an, als er in der Babarossastraße ausgesetzt wird. Sobald wir nur noch zu dritt im Wagen sind, schlägt die Stimmung um: „Alles locker bei uns“, erklärt Uwe, „Druck machen und so, das läuft nicht.“ Uwe, Carsten und ich kehren neuerlich ein: In einem Imbiß läuft Bier für Uwe, Kaffee für uns. Die Kollegen spielen „Klammern“, ein nettes Kartenspiel, ich werde nebenbei nach meinem Werdegang befragt. Der ist rasch dahergelogen. Uwe sagt mir eine rosige Zukunft voraus. „In dem Job kann man viel Geld machen, und du hast Talent, dafür hab ich einen Blick.“ Um halb zwölf geht es schließlich an die Arbeit. Wir stehen in einem langen Hausflur, Uwe vor einer Wohnungstür, ich im toten Winkel an die Wand gedrückt. Frau Mugler ist die erste, die aufmacht, und gleich Opfer: Schon hält sie die „kleine Aufmerksamkeit von der Filiale“, den Weihnachtskaktus, in der Hand. Uwe ist gar kein Drücker, sondern Maler, der nebenan im Haus Nummer 11 wohnt und Freitags immer die Zeitschriften austrägt, um „ein paar Groschen dazu zu verdienen“. Jetzt sei aber was Dummes passiert: Die „Filiale“ hat seinen Bezirk überprüft und festgestellt, daß Uwe zu wenig Abonnenten hat. Deswegen sollten Vertreter hierher geschickt werden, um Kunden zu werben. Das aber wollte Uwe nicht, und deswegen schaut er heute, an seinem freien Tag, schnell mal persönlich vorbei, um zu fragen, „ob Sie mir - ab Januar - nicht auch mal hin und wieder eine Zeitung abnehmen möchten, so einmal im Monat vielleicht?“ Frau Mugler weiß nicht recht. Sie zaudert. Dann erzählt sie von ihrem Plan, Berlin eventuell bald wieder zu verlassen. „Was soll dann mit dem Abo werden? „Kein Problem!“ ruft der Maler begeistert, „dafür bin ich ja hier in ihrer Nachbarschaft. Das wird alles sofort von mir geregelt!“ Na dann. Frau Muglers letzte Bedenken sind zerstreut, sie bestellt auf ein Jahr die Brigitte. Manchmal ist die Arbeit nervig. Dann schimpfen Uwes Nachbarn, schlagen die Türen zu oder werden beleidigend. Der Drücker meistert solche Ausfälligkeiten gelassen und konzentriert seine ganze Überredungskunst auf potentielle Opfer. Das sind alle nachgiebigen und unsicheren Zeitgenossen. Vor allem gilt: „Bloß nicht aufregen. Wenn du schlechte Laune hast, spüren das die Leute und du verkaufst gar nichts mehr.“ Auf der Straße treffen wir Carsten. Er hat schlechte Laune und noch kein einziges Abo verkauft. „Sone Spießer sind das hier“, schimpft er, „das glaubst du gar nicht. Wenn ich die nur sehe, weiß ich schon Bescheid. Die wollen einfach nicht kaufen. Alles Arschlöcher!“ Ein feiner Regen fällt. Ich habe es mir überlegt: Der Job ist wohl doch nicht das Richtige für mich. Uwe sieht das ein und drückt zum Abschied die Hand. Eigentlich ein ganz sympathischer Bursche.