Waldheim muß sich gute Argumente ausdenken

■ Neue Vorwürfe: Mitwisser der „Operation Kozara“, bei der Zehntausende von Jugoslawen ermordet wurden / Internationaler Historikerkongreß in Jugoslawien wurde von Waldheim–Lobby verhindert / Zagreber Archive, die die wichtigsten Dokumente über Waldheims Vergangenheit enthalten sollen, für die Forschung verschlossen

Von Thomas Schmid

Berlin (taz) - Der österreichische Bundespräsident Kurt Waldheim, der immerzu und penetrant seine Unschuld beteuert, wenn seine Kriegsvergangenheit zur Debatte steht, wird sich mit alten Vorwürfen, die allerdings nun mit neuen Dokumenten untermauert werden, auseinandersetzen müssen. Es geht um die „Operation Kozara“ der „Kampfgruppe Westbosnien“, bei der Zehntausende von Jugoslawen ermordet wurden. Im Juni und Juli 1942 kesselte die Wehrmacht im Nordwesten Bosniens Partisanenverbände und Zivilbevölkerung ein und nahm nach jugoslawischen Angaben 68.500 Menschen gefangen, darunter 23.000 Kinder. Tausende wurden erschossen, Tausende als Zwangsarbeiter verschleppt, und Tausende verhungerten. Was Waldheim, der als Versorgungsoffizier der von Generalmajor Friedrich Stahl befehligten „Kampfgruppe Westbosnien“ zugeteilt war, alles getan, gesehen und gehört hat, geht aus den von der Hamburger Illustrierten Stern veröffentlichten Dokumenten zwar nicht hervor, daß er aber als Ordonnanzoffizier des Quartiermeisters des Führungsstabes (Ib) Hauptmann Plume, der mit der Einrichtung von Gefangenensammelstellen beauftragt war, von den Kriegsverbrechen seiner Einheit nichts gewußt hat, darf füglich ausgeschlossen werden. Im übrigen erhielt Leutnant Waldheim zehn Tage nach Beendigung der Massaker in der Gegend um Kozara den zweithöchsten Orden, die silberne Zvoni mir–Medaille mit Eichenlaub, „für Tapferkeit in den Kämpfen gegen die Banditen in Westbosnien“. Die Dokumente für den Stern– Bericht, der vom Belgrader Institut für Militärgeschichte bereits dementiert wurde, lieferte Danko Vasovic, Redakteur der Belgrader Tageszeitung Vecernje Novosti. Vasovic hatte in seiner Zeitung bereits vor einem halben Jahr die „Odluka“, die jugoslawische Kriegsverbrecherakte zum Fall Waldheim aus dem Jahr 1947, veröffentlicht. Darin sind Fakten zusammengetragen, aus denen hervorgeht, daß der heutige österreichische Bundespräsident - zumindest als Mitwisser - in Morde, Massaker und Geiselerschießungen bei der Evakuierung deutscher Truppen aus dem Balkan verstrickt war. Über Waldheims Beteiligung an der „Operation Kozara“ berichtete vor Monaten auch ein anderer prominenter Jugoslawe: Professor Vladimir Dedijer, damals Partisanenführer, Autor von „Sarajewo“, einem international anerkannten Buch über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs, und neben Russell und Sartre Mitgründer des Russell–Tribunals gegen den Vietnam–Krieg der USA. In einem von der Wiener Zeitschrift Forum veröffentlichten Brief an den SP– Minister Heinz Fischer wies er auf „die hervorragende Rolle“ hin, die Waldheim bei der Kampfgruppe Westbosnien gespielt habe und „für die er schließlich mit einem der höchsten Orden des kroatischen Quisling–Regimes ausgezeichnet worden ist“. In dem Brief schreibt Dedijer, daß er in Jugoslawien einen internationalen Historiker–, Politiker– und Philosophenkongreß organisieren wollte, dies aber von den „jugoslawischen Behörden unter dem Druck von Waldheims Lobby in Jugoslawien“ verhindert worden sei. Im übrigen untersuche das Russell–Tribunal „öffentliche Anschuldigungen, wonach die jugoslawische Regierung keine freie Arbeit von Historikern über den Fall Waldheim in jugoslawischen Archiven“ gestatte - Vorwürfe, die auch von der slowenischen Wochenzeitung Teleks erhoben worden seien. Während die Archive des Militärhistorischen Instituts in Belgrad vollkommen frei zugänglich seien, so Dedijer weiter, seien die Zagreber Archive für die wissenschaftliche Forschung nicht geöffnet. Dort aber lägen die wichtigsten Dokumente über Waldheims Kriegsvergangenheit, darunter die gesamte Korrespondenz der Kampfgruppe Westbosnien und auch ein Dossier über Waldheim. Bleibt die Frage, weshalb Jugoslawien nicht alle seine Akten über Waldheim der Öffentlichkeit zugänglich macht und weshalb eine Artikelserie der Belgrader Wochenschrift Politika Svet über den Fall Waldheim auf behördliche Anweisung hin gestoppt wurde. Vedijer vermutet, daß viele hohe Politiker „wenig Lust haben, sich wegen Waldheim die touristischen und Handelsbeziehungen mit Österreich stören zu lassen“. Neues über Waldheim will auch der Wiener heute auf den Markt bringen. Das österreichische Zeitgeist–Magazin verweist auf ein Dokument der US–Armee, die sogenannte „Crowcass–list“ (Crowcass steht für „Central Registry of War Criminals and Security Suspects“). Dort taucht Waldheim neben 50.000 weiteren mutmaßlichen Kriegsverbrechern auf. Beschuldigung: Mord.