: Königsmord und Dialog
■ Zur Krise der Grünen. Ein Beitrag von Ludger Volmer (MdB) / Volmer, der sich zum pragmatischen Teil des ökosozialistischen Flügels zählt, plädiert in seinem Beitag für einen flügelübergreifenden „Dialog der Moderaten“, der in seiner Konsequenz zum Bedeutungsverlust der „ScharfmacherInnen“ führt
Meine These lautet: Die Krise der Partei in ihrer momentanen Zuspitzung ist kein Ausdruck des Kampfes zwischen den Flügeln, sondern Folge der inneren Krise beider Flügel. Es gibt eine Tendenz zur Neuformierung von Strömungen und ihrem Verhältnis zueinander. Dies erzeugt bei den alten Strategen die ständige Furcht, ihre persönliche Wichtigkeit und die ihrer politischen Linie einzubüßen. Sie versuchen mit der im mer platteren und kruderen Einforderung prinzipieller Linientreue, ihre alten GenossInnen bei der Stange zu halten. Folgen sind Handlungsunfähigkeit der gesamten Partei und Qualitätsverlust ihrer Politik. Welche Verschiebungen gab es, die durch die Fanfaren der FlügelführerInnen derart ver“tusch“t werden sollen? Die alten Strömungen Nachdem der Flügelstreit mit Beginn des Einzugs der Partei in den Bundestag ausgebrochen war, kristallisierten sich in der ersten Fraktion drei Gruppierungen heraus: eine radikalere, eine gemäßigtere und ein ungebundenes Mittelfeld. Damals konnte ein tragfähiges Mitte–Links–Bündnis stabilisiert werden, das große Teile der gemäßigten Strömung mitintegrierte. Den harten Rand der sich nun Realos nennenden Gruppe veranlaßte dies zu teilweise wütenden Attacken. Im gemeinsamen Interesse, die Grünen als Medium zur Rekonstruktion einer linksliberalen Politik zu gewinnen, bei der die SPD nicht von der FDP, sondern den Grünen korrigiert wird, gingen Vertreter des Realo–Flügels und linksliberale Meinungsmacher ein Bündnis ein. Die von den Medien systematisch aufgebaute Prominenz dieser grünen VertreterInnen konnte dann als Druckmittel in die Partei hinein wirken. Diese Kampagne, vom Hessen– Experiment beflügelt, zielte zunächst darauf ab, die Koalition als mögliche politische Bündnisform in der Partei bundesweit mehrheitsfähig zu machen. Der Glaube großer Teile der Basis an die Verkündigungen der Bildschirmpromis konnte durch die Parteilinke immer weniger irritiert werden. Denn die strategische Überlegung, nicht bis an das Ende der Geschichte in der Opposition verharren zu können, besitzt tatsächlich einige Plausibilität. Tabuisierung der Koalitionsfrage, Betonung prinzipieller Antistaatlichkeit waren die falschen Antworten der Linken auf die Tendenz der Anpassung. Die harte Polarisierung, die auf solch dünner Basis insbesondere von führenden linken RepräsentantInnen von Bundesvorstand und GAL Hamburg in der Partei mitbetrieben wurde, führte nicht zum erhofften Lernprozeß der Partei. Im Gegenteil: Die Weigerung der fundamentalistischen Linken, Ideologiekritik und Entlarvungspolitik durch inhaltliche, vorwärtsweisende Konzepte zu ergänzen, und das Beharren auf harter Polarisierung in der Strategiefrage spaltete das ehemalige Mitte–Links–Bündnis auf. Breite Gruppen des Mitte– Links–Spektrums, auch ausgewiesene Linke (z.B. in Nordrhein– Westfalen), wandten sich von den Hardlinern ab. Sie forderten eine differenziertere Politik, weniger Dogmatismus in der Bündnisfrage, den Wandel der Grünen von der reinen Protest– zur kritischen Konzeptpartei, die konstruktive Alternativen zu den kritisierten gesellschaftlichen Zuständen ausweist und den verunsicherten Menschen positive Orientierungen anbietet. Die Mittelgruppe arbeitete verstärkt mit dem verbreiterten realpolitischen Lager zusammen. So führte die Polarisierungspolitik, die sich in der Linken selbst gegen den Ansatz integrativer Politik hatte durchsetzen können, dazu, daß die Scheidelinie innerhalb der Partei zwischen den Linken und der Mitte lag, während sie in der Fraktion noch den Realo–Flügel vom Mitte–Links–Bündnis unterschied. Doch die Parteikonstellation war die entscheidende Frage für die Besetzung der Landeslisten und die Kräfteverhältnisse in der neuen Bundestagsfraktion. Von wenigen Ausnahmen wie z.B. Hamburg abgesehen, konnte das neue Parteibündnis von Realos und Mittelkräften die Mehrheit der aussichtsreichen Landeslistenplätze erringen. Die neuen Strömungen Die neue Mehrheit von Realos und (populistischer) Mitte prägte von Beginn an die heutige Bundestagsfraktion. Geschlossen trat sie allerdings bei wichtigen Entscheidungen nur in der Anfangsphase auf. Durch Entscheidungen über Struktur von Arbeitskreisen und Abgeordnetenbüros, Personalplan, Fraktionsbudget und Ausschußsitzverteilung wurden die Weichenstellungen für die Fraktion noch gemeinsam vorgenommen. Auch der Vorstand konnte mit fünf zu eins deutlich majorisiert werden. Die Fraktionslinke sah sich unbeschadet ihrer deutlichen inneren Differenzen zu einem Abwehrbündnis gegen den massiven Dominanzanspruch der machthabenden Gruppen gezwungen. Neuerdings treten auf seiten der Mehrheitsströmungen zunehmend tiefe Brüche auf. Die Konfliktfrage ist folgende: Längst hat sich in der Partei eine breite Mehrheit gefunden, die eine Koalition als politische Bündnisoption nicht mehr ausschließen will. Auch große Teile der Linken gehören dazu. In dem Maße allerdings, wie sich diese Klärungsprozesse in der Partei abzeichneten, forderte der potentielle Bündnispartner SPD deutliche inhaltliche Korrekturen. Vor allem die Bereiche Außenpolitik, Staatsverständnis und Gewaltfrage wurden zu Kriterien für eine mögliche Zusammenarbeit erklärt. An ihnen differenziert sich das Mitte–Realo–Bündnis wieder aus. Der harte Kern der Realos setzt alles daran, die Partei rigoros auf einen inhaltlichen Standard zu trimmen, der den Sozialdemokraten angenehm ist. Einem wesentlichen Teil der Realos geht dieser Rigorismus in Form und Inhalt zu weit. Sie wenden sich gegen die Aufgabe politischer Inhalte, die zum Identitätsverlust der Partei führen würden. Während nun der harte Teil der Realos mit Vorschlaghämmern auf die grünen Fundamente einschlägt, um Abbröckelung oder zumindest unsichtbare Haarrisse zu erzeugen, übersieht der fundamentalistische Teil der Linken bei seinem Versuch, die bestehende inhaltliche Konstruktion zu retten, völlig, daß vieles tatsächlich weiterentwickelt oder überdacht werden muß. Da werden fragwürdige Positionen allein schon deshalb verteidigt, weil sie von einigen Realos angegriffen werden. Differenzierte politische Aussagen werden zu platten Formeln komprimiert, an denen sich Treue und Verrat messen lassen können. Scharfäugige LinienrichterInnen wachen über jede Abweichung. Zwischen diesen groben Klötzen wird eine differenzierte inhaltliche Diskussion zunehmend zerrieben. Die Rettung oder Zerstörung von Schlagworten gewinnt ungeheuren Symbolwert für die politische Stärke der beiden Lager. Versuche im linken wie auch im Realo–Lager, differenzierter zu argumentieren, erscheinen dann als Verrat an dem großen Ziel, die eigene Strömung gegenüber der anderen zu behaupten. Nehmen wir als Beispiel die NATO–Frage: Im Bundeswahlprogramm ist eine differenzierte Formel enthalten, die zu Abrü stungen in der BRD bis zum Bruch mit der NATO auffordert. Sie stellt die Bündnistreue in Frage, enthält aber auch eine politische Operationalisierung, eine Zerlegung des politischen Prozesses in plausibel begründbare Einzelschritte. Die GegnerInnen dieser Politik, denen die NATO–Kritik zu weit geht, bemühten sich sofort, dieses differenzierte Konzept zu verballhornen zur platten Forderung nach „Austritt aus der NATO“, um es dann als sektiererisch denunzieren zu können. Die Linke nimmt die platte Parole auf und erklärt sie nun ihrerseits zum Symbol, an dem sich die Geister der Partei scheiden sollen. Das politische Konzept gerät aus dem Blick. Interessant ist nur noch, ob sich 30 oder 70 Prozent um die verkürzte Formel scharen. Dadurch, daß die Linke sich selbst an dem Wegdrücken der ursprünglichen differenzierten Formel beteiligt, bereitet sie selber das Feld derer, die nun die Plattheit wieder zum Anlaß nahmen, die gesamte NATO–Kritik in Frage zu stellen und mehr oder weniger offen das Bekenntnis zur Westintegration zu fordern. So wird die platte „Austrittsforderung“, die ein wohlinszenierter Rückfall hinter den erreichten inhaltlichen Diskussionsstand ist, zu einem von den Hardlinern der Flügel hochgespielten Symbol, das nur noch dem innerparteilichen Machtkampf dient. Der Teil der Realos, der das inhaltliche Roll back betreibt, gerät in ein vertraktes strategisches Dilemma. In dem Moment, da in wichtigen politischen Fragen durch eine Revision des Programms eine koalitionsfördernde Annäherung an die SPD erreicht ist, geht gleichzeitig das Profil der Partei und damit die Verhandlungsmacht gegenüber den Sozialdemokraten verloren. Um der SPD überhaupt noch etwas abverhandeln zu können und sich nicht einfach zu assimilieren, müssen neue Spielräume aufgebaut werden. Wenn der Spielraum links der SPD durch die inhaltliche Anpassung geschmolzen ist und mensch sich von der Parteilinken durch die Aufgabe der Oppositionsrolle unterscheiden will, bleibt nur noch ein Ausweg, die Partei wird in die Mitte gerückt. Die notwendigen Handlungsspielräume der SPD gegenüber verschafft mensch sich nun durch die Andeutung einer möglichen Zusammenarbeit mit der CDU. An diesem Punkte kommt es zu einem Bündnis der harten Realo–Strömung mit der bisher randständigen kleinen Strömung der Ökolibertären. Die Mittelkräfte hatten sich aber nun mit den Realos nicht verbündet, um einen völligen Standortwechsel der Partei zu betreiben; sie wollten lediglich der Ein bindung in eine Politik der Linken entgehen, die jegliche Möglichkeit von Koalitionen tabuisierte. Auch große Teile der Realos selber machen den Sprung in die Mitte nicht mit. Sie halten die Koalition für den besten Weg zum Ziel. Aber sie sind nicht bereit, das Ziel zu opfern, um den Weg gangbar zu machen. Diese Differenzen in der Art der Koalitionsstrategie und der politischen Inhalte im Realo–Flügel sind mittlerweile so tief, daß mensch eigentlich von zwei unterschiedlichen Strömungen reden muß. Auf der linken Seite hat es ebenfalls Ausdifferenzierungen gegeben. Ein Teil ist zu der Auffassung gelangt, daß eine Koalition nicht aus prinzipiellen staats– oder bewegungstheoretischen Gründen abgelehnt werden kann. Für sie ist die Frge der Koalition keine prinzipielle, sondern eine der historischen Umstände. Und die lassen bekanntlich Spielraum für unterschiedliche Bewertungen. Dialog der Moderaten Die Differenzierungen in den beiden Flügeln stärker herauszuarbeiten, ist lohnenswert. Es könnten sich völlig neue Konstellationen ergeben. Reden wir also - vorläufig, denn auch diese Etiketten sind unscharf - von einer harten und einer weichen Realo–Strömung; reden wir von fundamentalistischen und pragmatischen Linken. Und von Mittelkräften. Meine zweite These lautet deshalb: Zwischen den Strömungen der pragmatischen Linken und der weichen Realpolitiker existieren mindestens so große Übereinstimmungen wie innerhalb des alten linken und des alten realpolitischen Lagers. Eine Betonung dieser Übereinstimmung könnte die gesamte Diskussion der Partei in eine konstruktivere Richtung lenken. Sie würde vermeiden, daß sich in der Mitte der Partei eine Kluft auftut. Desintegration würde statt dessen dort entstehen, wo sie hingehört, am Rand der ehemaligen Strömungen. Was ist den moderaten Kräften gemeinsam, was trennt sie? Gemeinsam ist: 1. Es wird anerkannt, daß Koalitionen prinzipiell als politische Option möglich sein müssen. 2. Das inhaltliche Fundament der Partei darf nicht aufgegeben werden, um diese Option mit Sicherheit zu realisieren. 3. Dies bedeutet, daß eine Zusammenarbeit von Grünen und SPD theoretisch scheitern kann. 4. Wegen der prinzipiellen Beibehaltung der programmatischen Fundamente (was ihre Weiterentwicklung einschließt) nimmt die Partei in der Parteienlandschaft die seit dem Godesberger Programm links von der SPD vakante Position ein, auch wenn sie keine Linkspartei traditionellen Typs ist. 5. Verhandlungsspielräume gegenüber der SPD werden nicht durch die Drohung, es notfalls mit der CDU zu treiben, sondern durch das mögliche Verbleiben in der Opposition aufgebaut. Die Unterschiede zwischen diesen beiden Strömungen sind dann nur noch gradueller Natur. Die weichen Realos wären sicherlich eher bereit, einen Verhandlungsstand mit der SPD als gemeinsame Basis anzuerkennen als die pragmatische Linke, die den Preis, den sie zu zahlen bereit wäre, niedriger ansetzen würde. Doch müßten zwischen diesen beiden Strömungen Kompromisse prinzipiell möglich sein. Der Streit bezöge sich auf eine konstruktive Fragestellung, die im Endeffekt sogar abstimmbar wäre, ohne daß die unterlegene Gruppierung die Niederlage mit dem Auszug aus der Partei quittieren müßte. Die Chancen für eine solche Dialogstrategie steigen in dem Maße, wie der selbstgesetzte Einigungszwang der gesprächsbereiten neuen Strömungen größer wird als der innere Solidaritätsdruck innerhalb der alten Lager. Die pragmatische Linke muß sich auf dem linken Flügel deutlicher gegen Dogmatismus in der Staats– und Koalitionsfrage einsetzen. Sie muß darauf drängen, daß linke Politik auch Konzept– und nicht nur Protestpolitik bedeutet. Die weichen Realos müssen auf ihrem Flügel dafür sorgen, daß der Koalitionsperspektive nicht im Vorfeld wichtige politische Inhalte geopfert werden. Der Preis für die Dialogstrategie, den beide Seiten zu zahlen haben, besteht im Bedeutungsverlust einiger scharfmacherischer ExponentInnen. Die Schlachtengesänge, die diese seit Wochen angestimmt haben, sollen noch einmal die Zweifel im Lager übertönen, die Zweifelnden zur Fahne treiben und den eigenen Führungsanspruch unterstreichen. Von diesem Theaterdonner, der letztlich nichts anderes im Sinn hat, als die längst fällige Umorientierung zu verhindern und die eigene Wichtigkeit zu retten, sollte mensch sich nicht beeindrucken lassen. Auch ein Grand ohne vier ist gewinnbar. Asse haben wir genug. Was für die Fraktion gilt, muß analog auch für die Partei gelten. bei den nächsten Vorstandswahlen in Fraktion und Partei müssen die Voraussetzungen für neue Dialogmöglichkeiten eröffnet werden.
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