Mikhael ließ Amerikas Herzen höher schlagen

■ Der Washingtoner Gipfel war vor allem ein Gipfel der Sympathiewerte / Ein Kommunist, der keine kleinen Kinder frißt, begeisterte die amerikanische Nation / Jetzt muß Ron wieder ohne seinen neuen Freund Mikhael auskommen

Aus Washington Stefan Schaaf

Wenn es nach Mikhael Gorbatschow geht, wird er in die Vereinigten Staaten zurückkehren und versuchen, mehr Amerikaner kennenzulernen als bei seinem ersten, gerade dreitägigen Besuch. „Wenn ich Amerika jetzt Lebewohl sage, sehe ich gleichzeitig einer neuen Begegnung entgegen; und ich hoffe, daß ich dann nicht nur seine Hauptstadt sehen werde, sondern auch mit seinem Volk von Angesicht zu Angesicht zusammentreffen und offene Gespräche führen werde“, sagte der sowjetische Parteichef beim Abschied vom Weißen Haus. Ungeachtet gewisser Sprachbarrieren, die diesen Kontakt eher mühsam gestalteten, hatte er schon auf dem Weg zu seinem letzten Treffen mit Präsident Reagan seine Wagenkolonne anhalten lassen und fünf Minuten in bester amerikanischer Politikermanier am Straßenrand Hände geschüttelt. Die Reaktion der überraschten Passanten war dieselbe wie die fast aller Amerikaner, die mit ihm während des Gipfels zusammengetroffen sind: freudige Überraschung und Zustimmung für diesen Mann, der soviel menschlicher wirkt, als man es nach all den Klischees vom bösen Russen und dogmatischen Apparatschik zu erwarten gewagt hätte. „Aufregend“ sei es gewesen, sagte eine der Amerikanerinnen, die Gorbatschows Hand schüttelte; „faszinierend“ fand einer der Kongreßabgeordneten die Zeit, die er mit dem sowjetischen Parteichef verbringen durfte; „klug“ nannte ihn ein anderer Par lamentarier, und ein dritter meinte, Gorbatschow habe sich „als einer von uns, als Vollblutpolitiker“, gegeben. Sowenig wie der Gipfel an konkreten Verhandlungsergebnissen erbracht hat, soviel hat Gorbatschows Auftreten für das Image der Sowjetunion bewirkt. Wenn er je etwas von Ronald Reagan hätte lernen können, wäre es die Kunst der Public Relations gewesen; und daß Politik nicht nur durch geschicktes Umgehen mit den Parlamentariern, sondern auch durch den direkten Appell an die Bevölkerung gemacht wird. Gorbatschow nutzte dieses Mittel ausgiebig, er traf in Washington nicht nur mit Kongreßabgeordneten, sondern auch mit Berühmtheiten aus Kunst und Kultur, mit Journalisten und Publizisten und am letzten Nachmittag mit Industriellen zusammen. In seiner Pressekonferenz am frühen Abend zeigte Gorbatschow, daß er sich dieser Wirkung bewußt ist. Alan Simpson, der in der Regel sehr direkte und bisweilen bissige republikanische Senator aus Wyoming, nannte Gorbatschow „sehr umgänglich, entwaffnend ehrlich und direkt. Ihm sei jemand lieber, der „wie ein Dreißigtonner mit sechs Scheinwerfern auf mich zukommt als einer, der um die Themen herumtänzelt“. Wichtig ist für Gorbatschows politische Zukunft auch, daß er ein persönliches Verhältnis zu Ronald Reagan entwickelt hat, der in ihm einen Sowjetführer sieht, mit dem man zum erstenmal seit vielen Jahren ernsthaft verhandeln kann. Abrüstung ist für die verbleibenden Monate in Reagans politischer Karriere das einzige Feld, auf dem der alternde Präsident noch Erfolge erbringen kann; für Gorbatschow ist eine Senkung der Verteidigungsausgaben das Fundament, auf dem die Umgestaltung der sowjetischen Ökonomie basieren muß. Für Reagan zahlt sich die eu phorische Stimmung und die Erwartung verbesserter Beziehungen zur Sowjetunion bereits aus: eine Umfrage des Weißen Hauses hat erbracht, daß seine Zustimmungsrate zum ersten Mal seit über einem Jahr die Sechzig–Prozent–Marke überschritten hat. Auch andere Sowjetpolitiker nahmen an der Charme–Offensive teil. Der sowjetische Generalstabschef Akhromeyev stattete dem Pentagon einen Besuch ab, ohne daß dort alle Alarmglocken schrillten. Im Gegenteil, Akhromeyev bewunderte ausgiebig die Soldatenmützen–Kollektion seines amerikanischen Amtskollegen Admiral Crowe und ließ sich von ihm zum Frühstück bitten. Und die beiden täglichen Pressekonferenzen des sowjetischen Sprechers Gennadi Gerasimov und seines Kollegen aus dem Weißen Haus, Marlin Fitzwater, waren umso humorvoller, je weniger es Fortschritte in den Verhandlungen zu berichten gab. „The Fitz– and–Gennadi–Show“ wurde die peinliche Veranstaltung ab dem zweiten Tag genannt. Aber nicht alle sowjetischen Besucher wurden so positiv beurteilt. Mit Argwohn und Spott wurde der Kaufrausch kommentiert, der einen Teil der knapp 200 Journalisten aus der UdSSR befiel, als sie der Lederturnschuhe und der überdimensionierten tragbaren Stereogeräte in den Schaufenstern ansichtig wurden. Welche Musik sie gern hören wollen, wenn sie in ihren Reebok–Tretern und mit dem neuen Ghettoblaster auf dem Roten Platz spazierengehen, wurde auch herausgefunden: Bruce Springsteen, „Born in the USA“.