Friedensengel Genscher und die FDP–Nikoläuse

■ Genscher soll auf FDP–Sonderparteitag am Wochenende das Konzept „Innere Aufrüstung für äußere Abrüstung“ vertreten / Antrag von Baum, Hirsch & Co.

Aus Bonn Oliver Tolmein

Einen Tag vor dem außerordentlichen FDP–Parteitag verläuft die Bonner Diskussion in durchaus ordentlichen Bahnen. Die Neugier vor dem 12.Dezember erscheint so wenig drängend wie die vor dem 6.Dezember: Zwar wollen alle wissen, was im Stiefel drin ist, manche freuen sich auf die Schokolade, einige befürchten die dürre Rute, aber die Hauptsache ist, daß der Rummel danach ein vorläufiges Ende findet. Während die GegnerInnen der Strafbewehrung des Vermummungsverbots am Donnerstag ihren Leitantrag zur Inneren Sicherheit unters Volk gestreut haben, sichern sich die Befürworter die nötige Presse mit sorgsam ausgewählten Informationen. Als „Bonner FDP–Kreise“ getarnt, verbreitet einer Siegeszuversicht: 60:40 werde es zugunsten des Leitantrages des Parteivorstandes ausgehen. Ein anderer, vermummt als Stimme aus „führenden Kreisen der Bonner FDP“, gibt sich skeptischer, gibt aber zu erkennen, daß der Parteivorstand einige Trumpfkarten in der Hinterhand behalten hat: Die Vermummung sei es nicht wert, daß man in Baden–Württemberg die Wahlchancen verspiele. Und im Ländle, da sind sich führende und andere Bonner FDP–Kreise einig, will die eigene Klientel Ruhe, Ordnung, Innere Sicherheit und hohe Strafen. Aus dem dortigen FDP–Landesverband kamen schließlich auch die ersten Vorstöße in die Strafbewehrungsrichtung. Zuversichtlich hoffen die FDP–Hardliner der Inneren Sicherheit auch noch auf die Wirkung eines kleinen Wunders: „Bis zwölf Uhr wird heftigst gestritten werden, und dann werden sich die Saaltüren öffnen, und Hans Dietrich Genscher wird als Friedensengel hereinschweben und fragen: Was, ihr streitet euch über so kleine Dinge wie das Vermummungsverbot? Dabei geht es doch um den Frieden in der Welt!“ Damit soll den Delegierten vor Augen geführt werden, daß eine Entscheidung gegen die Verschärfungen im Bereich Innere Sicherheit den Handlungsspielraum der FDP–Minister im Kabinett in Sachen Außenpolitik spürbar einengen würde. Innere Aufrüstung wird also gegen äußere Abrüstung ausgespielt werden. Als zusätzlicher Trumpf wird außerdem Hildegard Hamm– Brücher angesehen, die, ansonsten strikt linksliberalen Prinzipien verpflichtet, in Sachen Vermummungsverbot Härte über Härte für nötig hält und immer wieder an die „Horden in der Weimarer Republik“ gemahnt, die die Demokratie zu Fall gebracht hätten. Auch die GegnerInnen des Bundesvorstandsleitantrages, Baum, Hirsch, Lüder, Richter und Inge Segall, sprechen sich nicht strikt gegen jede Gesetzesverschärfung aus. Sie wollen das Mitführen von „Vermummungsgegenständen“ zu Demonstrationen zur Ordnungswidrigkeit erheben und den Haftgrund der Wiederholungsgefahr bei Landfriedensbruchdelikten akzeptieren. Außerdem fordern sie beschleunigte Verfahren für Straftaten im Umfeld von Demonstrationen: Spätestens nach drei Monaten soll es zur Hauptverhandlung kommen. Zu diesem Thema ist allerdings gerade ein Brief des Justizministers Engelhardt bekannt geworden, der für derartige Verfahrensbeschleunigungen bei ausgewählten Straftaten keine rechtlichen Möglichkeiten sieht. Der einzig überraschende Vorschlag ist der Selbstzensur zum Opfer gefallen: Das vollmundig vorgetragene Bekenntnis des FDP–Vorsitzenden Bangemann, er werde dem Artikelgesetz nur zustimmen, wenn Bundeskanzler Kohl versichere, damit seien weitergehende Gesetzesverschärfungsideen der CDU/CSU in dieser Legislaturperiode vom Tisch. Dem endgültigen Verstummen waren einige bemühte Interpretationsversuche der Pressestelle vorausgegangen, die allerdings eingestellt wurden, als CDU/CSU Politiker erklärten, so ein Junktim auf gar keinen Fall akzeptieren zu wollen: Herr Bangemann habe nicht gemeint, daß Bundeskanzler Kohl ausdrücklich erklären müßte..., vielmehr habe er gemeint..., eigentlich sei das auch selbstverständlich.