Und das war alles?

■ Unter dem Strich bleiben in Washington Spekulationen

Schon als „Mikel“ am Montag dieser Woche auf der Andrew–Air Base einschwebte, war die veröffentlichte Meinung rund um den Globus einig: Dieser Gipfel verdient das Prädikat „historisch“. Am Ende des sogenannten „Gorbi– Gipfels“ fällt eher die Zurückhaltung im Gebrauch der Superlative auf - der Absturz aus den Geschichtsbüchern in dröge Raketenzählerei wirkte für weite Teile der Öffentlichkeit wie eine kalte Dusche. INF–Vertrag - und das wars dann auch schon? Von den enttäuschten Kommentatoren wird nun vor allem auf den atmosphärischen Umschlag verwiesen. Doch daß nun Ronnie und Mike miteinander verhandeln statt Gorbatschow und Reagan, hat offenbar nicht gereicht, um die in den letzten Tagen so häufig beschworene neue Ära zwischen den Supermächten einzuleiten. Weder gibt es vorzeigbare Annäherungen in der Frage der Halbierung der Interkontinentalraketen noch eine Neudefinition für den Umgang der Weltmächte mit ihren jeweiligen Interessensphären. Warum nicht? Einer auf Veränderung drängenden Sowjetunion fehlt das entsprechende amerikanische Pendant. Das subjektive Bedürfnis eines verschlissenen Präsidenten, zumindest an einem Punkt Geschichte zu machen, mag zum Zustandekommen des INF–Abkommens beigetragen haben. Mehr wird dieses Motiv kaum noch bewegen. So wie die Not - aus der Gorbatschow nun eine Tugend macht - die Sowjets getrieben hat, wird sie vielleicht eines Tages auch einmal die Amerikaner treiben. Doch Optimisten sollten sich erinnern, wie lange es im Kreml gedauert hat, Konsequenzen aus dem steten ökonomischen Niedergang zu ziehen. Selbst wenn man der US–Gesellschaft eine andere Dynamik zugute hält - es wird noch einige Börsenchrashs brauchen, bis die Elite des Kapitalismus am selben Punkt angelangt ist wie jetzt das Politbüro: daß der Overkill und die weltweite militärische Präsenz nicht mehr zu bezahlen sind. Dann erst ist die Zeit für den „Durchbruch“ gekommen. Jürgen Gottschlich