Demos überschatten Wochenende

■ Überwältigende Massendemonstrationen am Wochenende waren von Plünderungen und gewalttätigen Ausschreitungen begleitet / Polizei auffällig zurückhaltend / Millionenknete gestohlen, Milliardenwerte gekauft

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Zu den bisher größten Massendemonstrationen dieses Jahres ist es am Samstag in allen Teilen des Bundesgebietes gekommen. Insgesamt mehrere Millionen Menschen zogen dichtgedrängt durch die Straßen und Fußgängerzonen der Innenstädte. In zahlreichen Städten kam der Verkehr zum Erliegen, obwohl Polizei und Vekehrsbetriebe seit den frühen Morgenstunden über Rundfunk zur Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel aufgerufen hatten. Die Initiatoren der Demos, die schon seit Wochen in großformatigen Anzeigen zur Teilnahme aufgerufen hatten, sprachen von einem zufriedenstellenden Ergebnis und von einem eindrucksvollen Bekenntnis zur Marktwirtschaft. Zahlreiche Demonstrationsteilnehmer hatten sich am Samstag früh bei Dunkelheit auf den Weg gemacht. Nahezu in sämtlichen größeren Städten wurden die Kaufhäuser mehrere Stunden lang besetzt. An anderen Orten kam es zur spontanen Blockade von Warenhäusern und Fußgängerzonen. „Bei uns haben sie gleich mit Geschäftseröffnung den Laden gestürmt“, so ein Sprecher von Kar stadt. Gegen 18 Uhr verließen die Besetzer die Häuser freiwillig, sodaß die Polizei nicht eingreifen mußte. Die Demonstrationen verliefen zum größten Teil friedlich, dennoch verzeichnete die Polizei auf den An– und Abfahrtswegen zahlreiche gewaltsame Zusammenstöße und heftige Wortgefechte zwischen motorisierten Demonstranten. In bisher noch nicht bekanntem Umfang kam es auch zu Plünderungen, die nur in Einzelfällen von den als Ordnern eingesetzten Kaufhausdetektiven verhindert werden konnten. Die Schäden durch entwendete Waren gehen nach Schätzungen des betroffenen Handels in die Millionen. Die Polizei nahm mehrere plündernde Personen vorübergehend fest. Gegen die Festgenommenen, so der Sprecher der Bundesanwaltschaft, werde lediglich wegen Diebstahls ermittelt. Für den Tatbestand der Bildung einer kriminellen Vereinigung bestünden zur Zeit keine Verdachtsmomente. Immer wieder kam es auch zu gewalttätigen Ausschreitungen der überwiegend erwachsenen Demonstranten, unter deren Agressivität vor allem kleinere Kinder zu leiden hatten. In zahlreichen Fällen registrierte die Polizei tätliche Übergriffe auf Minderjährige, die von Ausrufen wie: „Wie oft hab ich dir schon gesagt, daß du nicht alles angrapschen sollst!“ und „Wenn du nicht gleich aufhörst zu plärren, setzt es was!“ begleitet waren. Nach Auffassung der Veranstalter, die zum zweiten Mal in diesem Monat zu diesen Kundgebungen aufgerufen hatten, sei der überwiegende Teil der Demonstranten jedoch friedlich seinem Anliegen nachgegangen. Die Initiatoren werteten die Massendemonstrationen als „überragende Bestätigung ihrer Politik“. Mit überzeugendem Willen und körperlichem Durchsetzungsvermögen hätten Millionen Familien in der Bundesrepublik unter Beweis gestellt, daß sie trotz Arbeitslosigkeit, Umweltverschmutzung und Bankenkrise ihren Beitrag zur Stabilisierung der deutschen Unternehmerschaft leisten werden. Man habe der ganzen Welt eindrücklich gezeigt, daß auch diejenigen, die schon alles haben, den Kampf um neue Besitzgüter niemals aufgeben sollten.