Kopf an Kopf–Rennen in Südkorea

■ Präsidentschaftswahlen mit unsicherem Ausgang / Opposition gespalten / Aus Seoul Ninia Boschmann

Morgen finden in Südkorea die ersten freien Präsidentschaftswahlen seit 1971 statt, ein Zugeständnis der Regierung Chun Doo–Hwans an die Massenproteste des vergangenen Sommers. Noch vor Monaten schien die Opposition alle Trümpfe in der Hand zu halten, doch Regierungskandidat Roh Tae–Woo hat inzwischen mit viel Schmiergeld aufgeholt, und seine Gegner sind in zwei Lager gespalten. Trotz heftigen Drucks der Basis wollte keiner der beiden Kims seine Kandidatur zurückziehen.

Das hätte sich Roh Tae–woo, Präsidentschaftskandidat der südkoreanischen Regierungspartei DJP sicher nicht träumen lassen. Nun verbreitet sogar schon die Oppostion seine Wahlplakate. Überall an den Wänden von Seoul tauchen zur Zeit kleine Zettelchen mit immer dem gleichen Bild auf: Roh, der - laut Eigenwerbung - „Politiker mit den großen Ohren“ für die Sorgen der Bevölkerung, wie er aufmerksam einem kleinen Mädchen zuhört - ein naturgetreues Plagiat der bunten DJP–Poster. Nur der Text ist ein bißchen verändert: „Onkel, stimmt es, daß du ein Mörder bist“, flüstert die Kleine dem lieben Roh in seine großen Lauscher. „Nun ja...“, entgegnet der auf dem nächsten Bild. „Onkel Roh, wie viele waren es denn?“ „Hmm, ich weiß nicht mehr so recht...“ usw. Die Koreaner gelten als ein Volk, das nicht vergißt und nicht vergibt, und so hilft man der verblassenden Erinnerung des ehemaligen Viersternegenerals und maßgeblichen Drahtziehers des Kwangju–Massakers von 1980 gern auf die Sprünge: „Roh Tae– woo, Saa Rin Ma“ (= Mörder Roh) oder auch: „Weg mit dem Schlächter von Kwangju“ wird bei jeder Versammlung der Opposition skandiert. Wo Roh gar persönlich auftritt, um mit sanfter Stimme seine gewandelten Vorstellungen von Demokratie zu erläutern, fliegen Steine, Eier und Flaschen. Kaum eine(r) außerhalb der Regierungspartei mag sich in diesen Tagen öffentlich für Roh aussprechen. Trotzdem, so die überraschende und erschreckte Erkenntnis Oppositioneller aller Lager, ist es durchaus möglich, daß der Mann mit den großen Ohren und der blutigen Vergangenheit die morgigen Präsidentschaftswahlen gewinnt. Schmiergeldoffensive Zwar ist das Erstellen und Verbreiten von Meinungsumfragen verboten, doch das macht das Addieren und Spekulieren nur interessanter. Und wo auch immer gerechnet wird, die Ergebnisse ähneln sich: Das Rennen wird knapp und es wird wesentlich vom Ausmaß des Stimmenkaufs und Wahlbetrugs seitens der Regierungspartei abhängen. 26 Millionen Stimmen gibt es insgesamt zu gewinnen, davon fast ein Drittel in der Hauptstadtregion, drei Millionen in der Heimatprovinz von Oppositionskan didat Kim Dae–Jung und über sechs Millionen in den dichtbesiedelten Industriestädtchen im Südosten, wo Roh und Oppositionskandidat Nummer zwei, Kim Young–Sam, zu Hause sind. Acht bis zehn Millionen Stimmen braucht der Sieger für einen bequemen Vorsprung, doch die wird aller Voraussicht nach durch Überzeugungsarbeit allein keiner erringen. Der Rest entfällt auf die sogenannten „neutralen Provinzen“, und außerdem gibt es noch ein paar kleinere Kandidaten wie den ehemaligen Geheimdienstchef Kim Young–Pil. Wohl haben die beiden Kims zusammen überall die Mehrheit hinter sich, aber der unpopuläre Roh kann bei Alten, Bauern, Staatsbediensteten und Soldaten durchaus auf einige schweigende Milliönchen zählen: bei denen, die ihn nur aus dem Fernsehen kennen (wo die Opposition nicht gut wegkommt), bei denen, deren Job dieses Regime geschaffen hat und bei denen, die nicht anders können. Da heißt es dranbleiben, nachschieben, draufzahlen. Die größte Manipulation, so befürchtete die Opposition, ist eh gelaufen: Die 600.000 Angehörigen der Streitkräfte haben nämlich „aus Sicherheitsgründen“ schon letzte Woche ihre Stimmen per Briefwahl abge geben. Auf Militärgelände. Vermutlich unter den Augen der Vorgesetzten. Einer, der für einen Kim gestimmt haben soll, hat den Tag nicht überlebt. Ein normaler Unfall, sagen die Vorgesetzten, geschehen bei einer „disziplinarischen Aktion“. Beweise gibt es nicht. Jetzt widmet sich die Regierungspartei der „Aktion U–Boot“, sprich: Vervierfachung der DJP– Mitgliederzahl. Eine Million waren es vor Beginn des Wahlkampfes, dreieinhalb Millionen sind es jetzt, und sogar Kim Dae–Jungs engsten Vertrauten wurde schon ein neues Parteibuch angetragen. 50 Millionen Dollar sollen allein für „milde Gaben“ zum Chosuk– Feiertag draufgegangen sein, die Großkonzerne zahlten Sondergratifikationen an ihre Beschäftigten, damit Rohs Rallyes voll wurden, und am Wahltag selber werden pro Stimme 50– bis 100.000 Won (500 Won = 1 DM) gerechnet. „Nehmt das Geld, es ist sowieso eures“, sagt dazu die Opposition. „Aber gebt eure Stimme jemand anders.“ Unerreichbare Einheit Euer Wort in Gottes Ohr. Doch warum, so ist frau versucht zu fragen, habt ihr es denn soweit kommen lassen? Warum müssen denn nun gleich zwei Kims antreten? Eure Programme sind doch gar nicht so unvereinbar, und moderat sind sie allemal. Wo bleibt eure Volksnähe? Sind nicht letzte Woche Hunderttausende für die Einheit der Opposition auf die Straße gegangen? „Von mir aus gern“, sagt Kim Young–Sam. „Wir können uns heute abend noch treffen.“ Er hat gut reden, denn gemeint ist immer der andere. Wenn Kim Young– Sam sich opfert, so die Erkenntnis der Demoskopen, wählen seine 2,5 Millionen Anhänger aus der Südostregien fast alle Roh. Denn ein Präsident aus dem verachteten Südwesten, das ginge nun wirklich zu weit. Im Falle eines Rücktrittes von Kim Dae–Jung sähe das dagegen ganz anders aus: Die aus Kwangju und Umgebung, die wollen auf jeden Fall die Demokratie und wählen Kim Young–Sam. Auch politökonomisch betrachtet spricht alles gegen Kim Dae–Jung. „Der kann gar nicht gewinnen“, erklärt mir zum Beispiel ein marxistisch geschulter Student aus einem Untergrundzirkel. „Denn um gegen Kim Young–Sam anzustinken, müßte er ein radikaleres Programm entwickeln, und dafür bekommt man derzeit in Korea keine Mehrheit.“ Ergo seien er und seine Kommilitonen dafür, erstmal mit Kim Young–Sam einen auf Demokratie zu machen, und dann könnte man ja weiter auf der Straße für den gesellschaftlichen Wandel kämpfen. Das leuchtet dem anderen Kim nun aber gar nicht ein. Wessen Programm kommt besser an? Das von Kim Dae–Jung. Wessen Wahlveranstaltungen sind voller und enthusiastischer? Die von Kim Dae–Jung. Soll er etwa die Millionen enttäuschen, die ihm bislang vertraut haben? Nein. Und so werden denn die beiden Kims, wenn sie ein bißchen Pech haben, demnächst in der Opposition wieder gemeinsame Allianzen gegen die Regierung schmieden können. Den parteiungebundenen Basisorganisationen bleibt derweil nichts anderes übrig, als für alle Fälle gewappnet zu sein. „Am 18. Dezember, wenn das Wahlergebnis raus ist“, so erfährt man im Hauptquartier der Bewegung für freie Wahlen, machen wir entweder eine Riesenfete oder eine Riesenprotestdemo.“ Weitere Prognosen mag niemand abgeben.