„Die wollten die Geheimpolizei auf mich ansetzen“

■ Der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Daniels besuchte die brasilianische Unglücksstadt Goiania und sorgte mit seinem Meßgerät für Aufregung / Von der brasilianischen Atombehörde auf Schritt und Tritt verfolgt / Unzureichende Information der Anwohner / „Eine nach wie vor ernste Situation für die Bevölkerung“

Großen Wirbel verursachte der Bundestagsabgeordnete der Grünen Wolfgang Daniels mit seinem Besuch in der brasilianischen Stadt Goiania. Drei Monate nach dem Strahlenunfall überprüfte der Physiker mit einem Meßgerät das Ausmaß der Verseuchung. Das hatte Folgen: Die Polizei wurde auf den Störenfried angesetzt, die Atombehörde wollte seine Ausweisung durchsetzen. taz: Wie ist die Situation in der Stadt drei Monate nach dem Strahlenunfall? Wolfgang Daniels: Das endgültige Ausmaß dieser Strahlenverseuchung ist noch immer nicht abschätzbar. Gegenwärtig werden an fünf Stellen innerhalb der Stadt Dekontaminationsarbeiten durchgeführt. Das geschieht aber eher, um die Bevölkerung zu beruhigen. Die Qualität der Entseuchungsarbeiten ist sehr unterschiedlich. Es gibt ein Haus, in dem Wände und Fußböden abgeschlagen wurden. Das ist eine Art Vorzeigehaus, in dem der Chef der staatlichen Atomkommission Rex Nazareth nach Beendigung der Arbeiten demonstrativ mit Champagner angestoßen hat. An anderen Stellen sieht es sehr viel kritischer aus. Ich habe außerhalb der Sperrzonen Messungen durchgeführt, zum Beispiel an Gräben, in die das Regenwasser von der Straße abfließt. Da werden keinerlei Vorsorgemaßnahmen getroffen. Die Werte sind alarmierend hoch. Wir haben 1.000 Becquerel pro cm2 gemessen. In Bayern hatte nach Tschernobyl der höchste Wert bei fünf bis zehn Becquerel gelegen. Es ist gegenwärtig überhaupt noch nicht absehbar, wieviel Plätze verseucht sind. Erst gestern wurde wieder ein neues strahlenverseuchtes Gebiet gefunden. Wir haben also eine für die Bevölkerung nach wie vor ernste Situation. Dazu kommt, daß die Kapazitäten für die Entseuchungsarbeiten offenbar begrenzt sind. Die Entseuchungsarbeiten waren als stümperhaft kritisiert worden. Die Arbeiter seien nicht ausreichend geschützt, die Absperrungen unzureichend, hieß es. Was war dein Eindruck? Die Qualität ist sehr unterschiedlich. Im Vorzeigehaus wurde mit Masken und Schutzanzügen gearbeitet. Dort haben wir 200 Becquerel pro cm2 gemessen. An anderen Stellen fehlen jegliche Schutzvorrichtungen. Es gibt eine sehr hoch belastete Straße, die nur durch ein gespanntes Seil „abgesperrt“ ist. An anderen Stellen sind Holzwände als Absperrungen aufgebaut worden. Da fehlt aber hin und wieder ein Brett, da schlüpfen dann Hunde und Katzen durch. Es ist zu befürchten, daß durch diese Schlampigkeit weitere Verseuchungen stattfinden. Wie haben die Einwohner von Goiania den Strahlenunfall verarbeitet? Das größte Problem ist, daß die unmittelbar betroffenen Anwohner überhaupt nicht informiert sind. Sie wissen weder, was Radioaktivität ist, noch wie sie sich verhalten sollen. Sie sind nie aufgeklärt worden, und auch die primitivsten Vorsichts– und Verhaltensmaßnahmen sind ihnen fremd: Daß sie zum Beispiel die Schuhe ausziehen und reinigen sollen, daß die Kinder gewaschen werden müssen, wenn sie draußen gespielt haben, das wissen sie nicht. Wer hat dich in Goiania begleitet? Ich war auf Einladung der katholischen Universität in Goiania und habe dort an der ökologischen Friedenswoche teilgenommen. Ich bin daraufhin von der Umweltbehörde der Stadt Goiania eingeladen worden, mir die Stadt anzusehen. Die Umweltbehörde hat meine Messungen mit ihren eigenen Geräten nachgeprüft und meine Werte bestätigt. Von diesen Leuten - das waren eher „untere“ Mitarbeiter - ist uns gesagt worden, daß sie vollkommen überlastet sind, und die Entseuchungsarbeiten nur schrittweise durchführen könnten. Sie wüßten selbst, wie schlimm alles wäre, aber sie könnten nichts tun. Dein Besuch ist zu einem Politikum geworden. Dir wurde Panikmache vorgeworfen. Wie hast du die Ergebnisse deiner Messungen öffentlich gemacht? Die Presse hatte spitz gekriegt, daß ich gemessen habe, und die haben mich dann bei diesen Messungen begleitet. Mein Meßgerät hat eine Digitalanzeige, die direkt ablesbar ist. Ein Kamerateam des Fernsehens hat gefilmt und die Meßergebnisse direkt aufgenommen. Das war dann abends in der Nachrichtensendung des Fernsehens zu sehen. Wie kam es dazu, daß die Atombehörde Strafanzeige gegen dich gestellt und deine Ausweisung verlangt hat? Ich habe mit meinen Messungen etwas Grundsätzliches angerissen: daß man nämlich der staatlichen Atombehörde ein wenig auf die Finger sehen sollte. Diese Behörde kommt noch aus der Zeit der Militärs, und die sind das überhaupt nicht gewohnt. Deshalb haben die so empfindlich reagiert. Die wollten die Geheimpolizei auf mich ansetzen, haben nahegelegt, mich außer Landes zu weisen. Schließlich sollte mir ein Verfahren angehängt werden wegen Panikmache und Falschaussage. Dabei haben mich die Wissenschaftler der staatlichen Atombehörde auf Schritt und Tritt begleitet. Vor allem wenn irgendwo die Presse oder eine Kamera auftauchte, waren sie sofort zur Stelle, um gegenzuhalten. Das sind alles deutsch sprechende Wissenschaftler, die im Kernforschungszentrum Karlsruhe ausgebildet wurden. Konkret lief das dann so ab, daß ich zum Beispiel irgendwo 20 Millirem pro Stunde gemessen habe. Dann haben die gesagt, das entspreche nicht den internationalen Levels. Man müsse aus einem Meter Abstand messen. Da wird dann solange Abstand genommen bis der Wert unter ein Millirem gefallen ist. Nur, die Kinder, die da spielen, die wissen nichts von Abstand und internationalen Levels. In einem anderen Fall hatte selbst die Atombehörde 30 Millirem gemessen. Als dann die Kamera kam, wurde einfach eine andere Stelle gemessen. Da wird also ganz bewußt manipuliert. Hattest du mit deiner Rolle keine Probleme? Der grüne Öko– Star jettet aus Europa ein und zeigt den Brasilianern, wo der Hund begraben liegt... Ich hatte das alles überhaupt nicht geplant. Ich bin als Ersatzmann für Willi Hoss sehr kurzfristig nach Brasilien geflogen, und kurz vor meinem Abflug kam ein Anruf, ob ich nicht ein Meßgerät mitbringen könnte. In Brasilien war ich dann Gast des Gouverneurs von Goiania, dem mein Auftreten dort sehr gelegen kam, weil er einen Diskussionsprozeß in Gang bringen wollte. Brasilianische Wissenschaftler, mit denen ich gesprochen habe, wissen natürlich genauso Bescheid, daß schlampig und fahrlässig gearbeitet wird, aber sie trauen sich damit nicht an die Öffentlichkeit. Erstaunlicherweise trauen sich in der Bürgerinitiative (Komitee zur Verteidigung der Strahlenopfer) auch nur Frauen, die Dinge beim Namen zu nennen. Was ist im Augenblick der wichtigste Punkt für die Arbeit der Bürgerinitiative? Die zentrale Frage ist, in welchem Maße die Anwohner, die in der unmittelbaren Nähe der kontaminierten Stellen wohnen, gefährdet sind. Bis zu 50 dieser Stellen werden vermutet, und jede Woche wird eine neue gefunden. Die Anwohner sind jetzt schon über Monate einer erhöhten Strahlenbelastung ausgesetzt, und vor allem die Kinder sind gefährdet, weil sie dort spielen und auch mit den Händen den Boden berühren. Die Leute wollen natürlich wissen, ob sie dort wohnen bleiben können oder nicht. Diese Auskunft kriegen sie von der Atombehörde nicht. Die Bürgerinitiative hat aber kein Meßgerät und kann deshalb auch nichts kontrollieren. Es geht jetzt darum, das Geld für solch ein Meßgerät zu sammeln, um eigene Messungen möglich zu machen. Interview: Manfred Kriener