Europa grenzenlos - grenzenlos asylfeindlich?

■ Vertreter der Benelux–Länder, Frankreichs und der Bundesrepublik beraten morgen in Berlin über Abwehrmaßnahmen gegen Flüchtlinge / „Harmonisierung des Asylrechts“ auf restriktiver Ebene / Mit Geheimdiplomatie zum geschlossenen Europa

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Unter dem Namen „Schengen–Kommission“ wird am morgigen Donnerstag eine Staatssekretären– und Ministerrunde aus den Benelux–Ländern, Frankreich und der Bundesrepublik im Berliner Reichstag zusammenkommen. Diese „Schengen– Kommission“ - benannt nach einem kleinen Ort in Luxemburg, an dem 1985 das erste Treffen dieser Fünf–Staaten–Runde stattgefunden hat - will dabei gemeinsame Maßnahmen der Terrorismus– und Rauschgiftbekämpfung beschließen und - was die Konferenz besonders brisant macht - über Schritte zu einer gemeinsamen Asylpolitik entscheiden. Unter dem wohlklingenden Stichwort „Harmonisierung des Asylrechts“ werden dabei die Bausteine gelegt für ein Europa, das nach innen die Grenzen abbaut, sich aber nach außen mit einer gemeinsamen Grenze gegen Asylsuchende abschottet. Die „Schengen“–Kommission ist nur eines von mehreren Gremien, in denen die Regierungen der EG–Länder zur Zeit an einer Vereinheitlichung des Asylrechts basteln. Sie alle tragen unverfängliche Namen wie z.B. TREVI, CAHAR oder eben „Schengen“, über ihre Arbeit dringt so gut wie nichts an die Öffentlichkeit. Die dort diskutierten Bestrebungen gehen auch an den nationalen Parlamenten vorbei und stehen z.B. den Entschließungen des Europäischen Parlaments zur Asylpolitik diametral entgegen. Auch was die zweijährige Arbeit der Schengen–Kommission angeht, tappt die Öffentlichkeit im Dunkeln. Fest steht bisher nur soviel: Die fünf Teilnehmerländer wollen sich auf einheitliche Außenkontrollen an ihren Landesgrenzen verständigen. Das heißt in der Praxis: gleiche Visa–Bestimmungen und Abweisungskriterien für Flüchtlinge an den Landesgrenzen. Zu diesen Maßnahmen gehört auch, daß die Schengen–Länder ein gemeinsames Frühwarnsystem vor neu auftretenden Flüchtlingsgruppen aufbauen wollen, um neue „Asylantenströme“ an den Grenzen abzublocken. Geplant ist weiterhin, daß jeweils nur ein Land für einen bestimmten Flüchtling zuständig sein soll. Daß ein Asylbewerber in einem Land abgewiesen wird und dann im Nachbarland aber Schutz sucht, soll in Zukunft unmöglich sein. Hierzu wollen die Schengen– Länder auch die Daten über einzelne Asylbewerber austauschen. Verständigen will man sich auch über die politische Lage in den Herkunftsländer, um so zu verhindern, daß z.B. ein Kurde in der Bundesrepublik abgewiesen wird, in Frankreich aber dennoch Asyl findet. Daß das weltweite Flüchtlingsproblem nicht allein auf nationaler Ebene gelöst werden kann und daß sich die europä ischen Staaten im Zuge einer Aufhebung ihrer Binnenmärkte und -grenzen auch über eine gemeinsame Asylpolitik verständigen, klingt zunächst vernünftig; doch aus dem bisher bekanntgewordenen Tenor der Maßnahmen läßt sich unschwer herauslesen, daß die Harmonisierung des Asylrechts zu einer Harmonisierung auf unterstem Niveau führt. Schon in der Vergangenheit haben einzelne europäische Länder mit verschärften Maßnahmen eine Vorreiterrolle gespielt, die dann von den anderen quasi unter Zugzwang übernommen wurden. So gingen jeweils die Bundesrepublik mit der Lagerunterbringung und dem fünfjährigen Arbeitsverbot für Flüchtlinge mit schlechtem Beispiel voran, die Niederlande mit einer katastrophal niedrigen Anerkennungsquote von 1,5 Prozent und Belgien mit einem 24–Stunden–Schnellverfahren für Flüchtlinge direkt an den Grenzen. Dieser Trend setzte sich in den Nachbarländern dann durch. Mit dem Argument, man könne nicht aus einer europäischen Regelung ausscheren, wird vor allem die Bundesrepublik ihre vom gesetzlichen Anspruch her vergleichsweise großzügige Asylpolitik umstellen müssen. Der Artikel 16 des Grundgesetzes, der ein Grundrecht auf Schutz vor politischer Verfolgung garantieren soll, könnte unter dem Druck einer europäischen Einigung endgültig seiner von der CSU geforderten Beerdigung entgegengehen. Aber auch für Flüchtlingsgruppen, Kirchenkreise und Menschenrechtsorganisationen wird sich durch die europäischen Harmonisierungsbestrebungen etwas verändern müssen. Ihre Einflußmöglichkeiten auf nationaler Ebene werden stark eingegrenzt sein, wenn sie es nicht ihren Regierungschefs nachtun und verstärkt auf europäischer Ebene nach gemeinsamen Gegenstrategien und Hilfsmöglichkeiten suchen. Anläßlich des Geheimtreffens der Schengen–Kommission rufen die Berliner AL und verschiedene Flüchtlingsgruppen zu einer Protestkundgebung in Berlin vor dem Maison de France, dem Kulturhaus eines der Teilnehmerstaaten, am Donnerstag um 11.30 auf.