Dresden: Alle fragen nach der Hafenstraße

■ Städtepartnerschaft zwischen den beiden Elb–Metropolen Hamburg und Dresden unterzeichnet / Hamburger Delegation zwischen Kulturschätzen und Friedensphrasen / Klaus von Dohnanyi und die Philosophie der zwischenstaatlichen Physik

Aus Dresden Axel Kintzinger

Wolfgang Berghofer reagierte sofort. Als sich der Dresdner Oberbürgermeister gemeinsam mit seinem Hamburger Kollegen Klaus von Dohnanyi vor einem Reiterstandbild in der „Straße der Befreiung“ aufbaute, ließ er sich von der GAL–Abgeordneten Adrien ne Goehler nicht zweimal auffordern, seine Pelzmütze über den unbedeckten Kopf des westdeutschen Gastes zu stülpen - ein gefundenes Fressen für die Fotografen. Es sollte nicht die einzige Situation bleiben, in der die gerade in diesen Tagen vielbeschworene Normalisierung zwischen Ost und West in Dresden ins Bild gesetzt wurde. Drei Autos mit Hamburger SpitzenpolitikerInnen hatten sich am Sonntag auf den Weg gemacht, um sich, wie es Dohnanyi ausdrückt, „einen Traum zu erfüllen“ - die beiden Elb–Metropolen mit einem Städtepartnervertrag enger aneinanderzubinden. 13 Städte in der BRD hatten sich um diesen Vertrag mit der als „Elb– Florenz“ bekannten Kulturstadt gerissen, Hamburg bekam den Zuschlag. Dafür gab es drei Gründe, erörtert Berghofer. Da ist die gemeinsame leidvolle Erfahrung des zweiten Weltkrieges, in dem sowohl Dresden als auch Hamburg in Schutt und Asche gebombt wurden, und da ist der „große Sohn Hamburgs“, Ernst Thälmann, nach dessen Namen in der DDR noch heute Brigaden benannt werden. Und nicht zuletzt sind Dresden und Hamburg auf natürliche Weise ohnehin schon miteinander verbunden - durch die Elbe. Hinzu kommt jedoch, daß die Dresdner - die stolz auf die kulturellen und wissenschaftlichen Leistungen ihrer Heimatstadt sind - sich mit Stuttgart oder Düssel dorf nicht zufrieden geben mochten, für die zweitwichtigste Stadt der DDR (520.000 Einwohner) war die größte der BRD (1,6 Mio.) gerade gut genug. In der Stadtverordnetenversammlung, dem Dresdner Lokalparlament, werden denn auch vor der Abstimmung über diesen Vertrag sowohl von Bürgermeister Berghofer als auch von den anderen Rednern die Vorzüge Dresdens wie aus einem Touristik–Prospekt angepriesen. Berghofer warnte vor zu hohen Erwartungen: Die Annahme, daß sich aus der Partnerschaft „eine in die Hunderttausende gehende Reisetätigkeit entwickeln würde“, sei „unreal“. Es reisten ohnehin schon viele Dresdner in die BRD. Später bedankt sich der Parlamentspräsident „für die Debatte“, von der allerdings keiner der westdeutschen Besucher etwas mitbekommen hatte: Ein Referat löste das nächste ab, und selbst die im Hamburger Rathaus so quirlige Adrienne Goehler verkniff sich die gewohnten Zwischenrufe. Unter den über 200 Stadtverordneten und den über 100 ebenfalls anwesenden Nachrückerkandidaten machte sich erst Spannung breit, als Dohnanyi ans Rednerpult ging. Im Gegensatz zu seinem eher steifen Kollegen Berghofer wirkte der mit allen Wahlkampfwassern gewaschene Senatspräsident aus Hamburg auf die DDR– Parlamentarier „charmant“ und machte „einen äußerst guten Eindruck“, wie einzelne Räte hinterher lobten. In einem historischen Rückblick erinnerte er daran, daß die Hansestadt schon im Jahre 1850 ein Konsulat in der Hauptstadt des damaligen unabhängigen Staates Sachsen eröffnet hatte. Für einen Lacher sorgte Dohnanyi, als er die Honecker–Weisheit über die Unvereinbarkeit von Sozialismus und Kapitalismus (“Wie Feuer und Wasser“) konterkarierte: Beim Aufeinandertreffen dieser beiden Elemente könnten ja auch, philosophierte Dohnanyi über die Physik, positive Energien freigesetzt werden. Erst später, beim offiziellen Empfang zu Ehren der Hamburger Delegation, merkten einige der zuvor begeisterten Stadtverordneten, was sie da beklatscht hatten: Wenn Wasser und Feuer sich begegnen, so die späte Erkenntnis, zischt es nur kurz, und es entsteht lediglich Rauch. Mit dem Vertragswerk wurde ein Jahresprogramm für 1988 verabschiedet, in dem u.a. ein Symposium über Frieden und Abrüstung vorgemerkt ist, das bereits im März in Hamburg stattfinden soll. Da beide Städte erheblich unter den Kriegsfolgen zu leiden hatten, wollen Dresden und Hamburg ihre Bürger mit wechselseitigen Ausstellungen über den Wiederaufbau informieren. Einen anderen Schwerpunkt soll der kulturelle Austausch bilden - Gastspiele der Dresdner Staatskapelle und der Hamburgischen Philharmonie sind ebenso vorgesehen wie wechselseitige Ausstellungen junger Künstler. Ein Hamburger Ereignis verfolgte die Rathaus–Delegation bis ins ferne Sachsen: Die Ereignsisse um die Hafenstraße werden in Dresden mit Unverständnis aufgenommen, Zustände wie in den ehemals besetzten Häusern lösen im Realsozialismus Kopfschütteln aus. Auf die Frage an einen jungen Stadtverordneten, was ihm denn bei einem Besuch in Hamburg negativ aufgefallen sei, kam denn auch wie aus der Pistole geschossen: Die Hafenstraße. Auch die mitgereisten Journalisten wurden immer wieder mit dem in Hamburg fast schon wieder in Vergessenheit geratenen Thema konfrontiert.