Der Vormarsch auf dem Weg zurück

■ Bundesregierung verständigt sich auf neue Mosaiksteine zur Vervollständigung der FDGO / Einschränkung der Demonstrations– und Meinungsfreiheit im Kabinett / Aus Bonn Oliver Tolmein

Eine reine Routinesitzung wird es nicht werden, wenn heute um 17 Uhr das Kabinett zusammentritt, um über die Gesetzesverschärfungen im Bereich Innere Sicherheit zu beraten. Zwar wird erwartet, daß es aufgrund zahlreicher Unklarheiten in Einzelfragen noch nicht zu der eigentlich vor vierzehn Tagen beschlossenen Kabinettsentscheidung über die Gesetzesverschärfungen kommen wird. Statt dessen sollen die Minister aber die Entwurfsvorlage, soweit sie zwischen Innen– und Justizministerium abgestimmt wurde, billigen und die endgültige Verabschiedung auf Anfang nächstes Jahr verschieben. Wesentliche Ursache für diese Verschiebung ist aber eine Formalie: Die Abstimmung mit den Justizministern der Länder, die die Geschäftsordnung vorschreibt, ist noch nicht erfolgt. Die in Bonn laut gewordenen Spekulationen über größere Unstimmigkeiten wurden vom Bundesjustizministerium denn auch bestritten. Ein Sprecher des Justizministeriums erklärte gegenüber der taz, es mache letzten Endes keinen großen Unterschied, ob das Kabinett seinen ausdrücklichen politischen Willen bekunde, das Gesetz so einzubringen, oder ob es das Gesetz formal beschließe. Auch Justizminister Engelhard erklärte gestern nachmittag in einem Interview des Saarländischen Rundfunks, es gebe nur noch einige „offene Fragen in Randbereichen“. Über diese soll heute Einigkeit erzielt werden. Einer dieser „Randbereiche“ ist die Kronzeugenregelung. Sowohl der FDP–Fraktionsvorsitzende Mischnick als auch Otto Graf Lambsdorff haben kritisiert, daß die aktuelle Gesetzesvorlage vorsieht, daß die Strafe für Mörder, wenn sie als Kronzeuge aussagen, auf zwei Jahre Haft, die auch noch zur Bewährung ausgesetzt werden könnten, herunterge setzt werden könne. Das entspreche faktisch der letztes Jahr von der FDP abgelehnten Straffreiheit für Mörder und sei deswegen nicht akzeptabel. Außerdem ist dem Vernehmen nach immer noch nicht entschieden, ob es ausreicht, wenn der Generalbundesanwalt in Zusammenarbeit mit dem Ermittlungsrichter jemandem die Zusicherung gibt, als Kronzeuge behandelt zu werden, oder ob das in der Kompetenz des zuständigen Gerichts liegen soll. Wiedereinführung eines alten Zensurparagraphen Unstrittig ist dagegen offenbar die Einführung des § 130b (Befürwortung von Straftaten). Obwohl der FDP–Vorsitzende Bangemann in seiner Parteitagsrede „die Forderung nach zusätzlicher Strafbarkeitsausweitung bei dem vorgesehenen neuen § 130b StGB“ in den Katalog der mit der FDP nicht zu realisierenden Vorhaben einreihte, taucht der Punkt im weiteren Verlauf der Debatte nicht mehr auf. Da darüber hinaus die Einführung des § 130b seitens namhafter FDP–Politiker mit dem Hinweis auf die angebliche Unwirksamkeit des alten § 88a (verfassungsfeindliches Befürworten von Straftaten) als „Kleinigkeit“ abgetan wird, rechnet in Bonn niemand damit, daß sich daran ein Streit im Kabinett entzünden wird. Wenn das Kabinett den Gesetzentwurf verabschiedet hat, wird er erst im Bundesrat beraten werden und dann in den Bundestag eingebracht. Da dieses Verfahren zeitraubend ist, wird es auch für möglich gehalten, daß sich kurzfristig die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP entschließen, den Gesetzentwurf direkt in den Bundestag einzubringen. In jedem Fall beabsichtigen die SPD und die Grünen im Zuge der voraussichtlich Februar oder März stattfindenden Ausschußberatungen eine Anhörung zu dem Gesetzentwurf zu beantragen. Opposition bereitet Expertenhearings vor Aufgrund der Geschäftsordnung können auch Minderheiten eine Anhörung durchsetzen. Bei vorangegangenen Gesetzesverschärfungen, zum Beispiel bei der Kronzeugenregelung 1986 oder der Verschärfung des Landfriedensbruchparagraphen 1985, hatte die Kritik der Sachverständigen bei den Anhörungen gelegentlich deutliche Entschärfungen der Regierungsentwürfe zur Folge. Die SPD beabsichtigt außerdem am 26. Januar ein eigenes Expertenhearing zur Frage der Gewalt und ihrer Ursachen, sowie zu den geplanten Gesetzesverschärfungen zu veranstalten. Dabei soll unter anderem der als Kritiker der Strafbewehrung des vermummungsverbots bekannte Präsident des Bundesgerichtshofes, Gerd Pfeiffer, gehört werden. Deutlich zeichnet sich mittlerweile ab, daß mit den kommenden Gesetzesverschärfungen das Thema Innere sicherheit keineswegs vom Tisch ist. Die FDP besteht mittlerweile nicht mehr, wie von Bangemann ursprünglich angekündigt, auf einer förmlichen Erklärung des Bundeskanzlers, daß diese Legislaturperiode keine weiteren Gesetzesverschärfungen mehr durchgeführt würden. Allerdings stemmen sich die Liberalen verbal massiv gegen jede weitere Verschärfung des zuletzt mit ihren Stimmen 1985 verschärften Landfriedensbruchparagraphen, wie sie vor allem von der CSU gefordert wird. Wieder einmal: Bis hierhin und nicht weiter Unterstützung haben sie dabei mittlerweile auch von den CDU/ CSU–Sozialausschüssen und vom innenpolitischen Sprecher der CDU/CSU–Fraktion, Johannes Gerster, bekommen. Gerster betonte gegenüber dem Express: „Politik heißt das Machbare durchführen, in diesem Fall die Vermummung unter Strafe zu stellen. Weitergehende Vorschläge stehen nicht auf der Tagesordnung.“ Diese Stellungnahme klingt allerdings angesichts der Geschichte der aktuellen Gesetzesverschärfung nicht besonders überzeugend. Auffällig ist nämlich, daß sämtliche Bestandteile dieses Artikelgesetzes, sowie die Einführung des seit Anfang des Jahres geltenden § 130a (Anleitung zu straftaten) ihre Grundlage in einer Bundesratsinitiative des Landes Bayern haben. Diese Bundesratsinitiative galt, als sie eingebracht wurde, als aussichtslos. Mit dem jetzt vorliegenden Entwurf der Bundesregierung ist jedoch mehr als die Hälfte der darin enthaltenen Vorstellungen, auch ursprünglich als völlig aussichtslos bezeichneten Vorhaben wie der § 130b (Befürwortung von Straftaten), umgesetzt worden. Und da sowohl nach der Verschärfung des Landfriedensbruchparagraphen 1985, als auch nach der Einführung des Staatsschutzgesetzespaketes 1986 seitens der FDP festgestellt wurde, damit sei der gesetzgeberische Handlungsbedarf längerfristig gedeckt, fragt sich, warum entsprechende Beteuerungen bei der Gesetzesverschärfung 1987 glaubwürdiger sein sollen.